Reis/Bohnen: Soziale Ungleichheit und Unterstützungspraktiken in Brasilien

Shownotes

Elena Reichl forschte von Januar 2022 bis März 2023 in São Paulo und Curitiba in Brasilien, unter anderem während der Präsidentschaftswahl, die der linke Politiker Luis Inácio Lula da Silva (Lula) knapp gegen den bis dahin regierenden Rechtspopulisten Jair Bolsonaro gewann. Soziale Ungleichheiten wurden durch die gekürzte Sozialpolitik Bolsonaros und die anhaltende pandemische Situation zusätzlich verschärft. Ernährungssicherheit und Hungerbekämpfung sind für die Agenda Lulas wie für zivilgesellschaftliche Unterstützungsinitiativen zentral.
Verschiedene politische Bewegungen, aber auch Nachbarschaftsinitiativen und Kirchengemeinden geben Nahrungsmittel und warme Mahlzeiten aus. Manchen geht es dabei um Solidarität, anderen um ihren Glauben. Dabei kommt auch die Politik ins Spiel und auch der Wahlkampf wird in die Gemeinschaftsküchen getragen.

Elena Reichl promoviert in Ethnologie und arbeitet im Projekt „Mit Sorge (Care) Sortieren. Humandifferenzierung in Kontaktzonen der Unterstützung“. Für ihre Forschung arbeitete sie unter Anderem bei einer sozialen Bewegung, Nachbarschaftsinitiativen und einer evangelikalen Kirche mit und stellte sich in Nahrungsverteilschlangen an. Zudem nahm sie an politischen Veranstaltungen und Aktionen teil, besuchte urbane Landbesetzungen, begleitete einen Wohnungslosen durch die Stadt und führte zahlreiche Interviews.
Über ihre Arbeit hat sie auch einen Beitrag im Focaal Blog geschrieben. Mehr über sie und ihre Forschung findet ihr auch auf unserer Website:

Der SFB 1482 Humandifferenzierung ist an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Leibnizinstitut für europäische Geschichte angesiedelt. Finanziert wird er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Podcast Team: Host: Friederike Brinker Producer: Marco Mazur studentische Hilfskräfte: Julia Wollmann und Tamara Vitzthum

Alle Infos zu unserem SFB findet ihr auf unsererWebsite, Instagram, Threads oder Mastodon

Kontaktieren könnt ihr uns natürlich auch per Mail: sfb1482.kommunikation@uni-mainz.de Foto: Stephanie Füssenich

Transkript anzeigen

ER: Wir bewegen uns in den Kontexten mit denen wir forschen und sind mit allen Sinnen präsent und lernen die Praktiken kennen aus der Perspektive der Teilnehmenden.

FB: Hallo, wir sind das Podcast-Team Friederike Brinker

MM: Marco Masur

JW: und Julia Wollmann. Ich beende mein Studium und begrüße meine Nachfolgerin.

TV: Hallo, ich bin Tamara Vitzthum und ab dieser Folge mit dabei.

FB: Vielleicht erinnert ihr euch noch an Folge vier Geben/Nehmen mit Heike Drohtbohm. Sie hat über einen in Kontakt von der Unterstützung gesprochen. Heute geht es wieder um die Kontaktzonen der Unterstützung. Aber wir tauchen in die Praxis ein. Elena Reichl war vor ein paar Monaten noch zur Forschung in Brasilien. Dort hat sie im Kontext von sozialen Bewegung, kirchlichen Hilfeeinrichtung und Nachbarschafts Initiativen geforscht.

MM: Sole und solche. Ein Podcast über Menschen und wie sie sich unterscheiden und wie die Kulturwissenschaften dazu forschen. Von dem SFB 1482 Humandifferenzierung.

ER: Also ich bin angestellt als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin in dem Teilprojekt des SFB zu, äh Hilfeleistungen. Beziehungsweise wir haben das genannt Kontaktzonen der Hilfe. Und in diesem Kontaktzonen der Hilfe treffen Leute aufeinander, in meinem Fall, die Nahrungsmittelhilfe leisten oder empfangen. Und das sind ganz verschiedene Kontexte. Also ich habe da zusammengearbeitet mit sozialen Bewegungen, aber auch mit Kirchen und mit NGOs und mit so spontan zusammengekommenen Nachbarschafts Initiativen, die dann irgendwie gekocht haben zum Beispiel, und dann losgezogen sind auf der Straße und das Essen verteilt haben. In Brasilien, genau, in Sao Paulo und in Curitiba. Das sind zwei Städte in Südbrasilien.

ER:

FB: Ja, wie kann man sich das konkret vorstellen, diese Arbeit in diesen Küchen, Also was passiert da so im Alltag?

FB:

ER: Das kommt natürlich sehr auf die Küche an, aber ich kann mal verschiedene Beispiele geben. Ja, also die cozinha solidária der sozialen Bewegung, in der ich sehr viel mitgearbeitet habe, die kochen von Montag bis Freitag Mittagessen für Menschen aus ihrer Nachbarschaft. Also die sind in, na ja, in der Peripherie von Sao Paulo, in einem sozial benachteiligten, strukturell wenig ausgebauten Stadtteil und sind eben Teil dieser dieser Besetzerbewegung. Na ja, aber auf jeden Fall. In dieser Küche kommen dann eben diese meist Frauen, meist ältere Frauen aus der Nachbarschaft zusammen, frühmorgens so gegen sieben, und fangen an, die Lebensmittel zu verarbeiten, die sie gespendet bekommen haben, von Supermärkten oder vom MST. Der Movimento Sent Terra, also der Fall der landlosen Bewegung? Genau. Ich lache gerade weil mein Freund dazu gearbeitet hat. Na ja, auf jeden Fall. Das wird dann vorbereitet. Als erstes werden die beiden Klassiker vorbereitet Reis und Bohnen in riesengroßen Töpfen. Und dazu gibt es dann immer wechselnde Proteine. Also entweder irgendwie so was aus Soja oder Hühnchen oder Ei und Salat. Und das wird dann mittags in dieser Küche an die Leute aus der Nachbarschaft verteilt, was ganz unterschiedliche Leute sind, also Menschen, die als Müllsammler:innen arbeiten, Schulkinder, Bauarbeiter:innen, Hausangestellte, Menschen, die da in der Region auf der Straße leben. Ja.

ER:

FB: Also gar nicht nur unbedingt Leute, die auch Mitglieder dieser sozialen Bewegung sind.

FB:

ER: Das richtet sich explizit an die gesamte Nachbarschaft. Das ist quasi die Die soziale Bewegung ist auch eng verknüpft mit linker Politik in Brasilien. Und das ist quasi eine Initiative zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit.

ER:

FB: Und wie funktioniert eigentlich denn Forschung? Also du fährst nach Brasilien und wie bereitest du das vor? Und was passiert dann, nachdem du gelandet bist?

FB:

ER: Ja, also im Vorfeld habe ich mich schon mit einigen so informellen Hilfsorganisationen in Verbindung gesetzt.

ER: Das Praktische bei diesen Organisationen für meine Art der Forschung, also ich bin Ethnologin, wir arbeiten hauptsächlich mit teilnehmender Beobachtung. Das heißt, wir, wir bewegen uns in den Kontexten, mit denen wir forschen und sind mit allen Sinnen präsent und lernen die Praktiken kennen. Aus der Perspektive der Teilnehmenden, also derer, die diese diese Praktiken alltäglich ausführen und in In meinem Fall bin ich dann angekommen und habe häufig erst mal als Freiwillige quasi dann mitgearbeitet, also meine Forschung präsentiert, gesagt, wie ich, wie ich gerne die Gruppen kennenlernen würde und dann erst mal geguckt, okay, wie arbeiten Sie auch natürlich so ein bisschen mit dem Reziprozitätsgedanken mir mich auch mit engagiert und ähm. Darüber hinaus habe ich aber auch Interviews geführt mit Leuten aus diesen Gruppen oder auch Repräsentant:innen oder auch, ja, Leuten, die in Verteilschlangen anstanden für Nahrungsmittel. Da habe ich mich auch öfter mal mit angestellt, was dann auch ganz interessant ist, weil du dann merkst, wie wirst du dann klassifiziert

ER:

FB: Und du fällst dann vermutlich in so einer Schlange auf als blonde Frau, oder?

FB:

ER: Ähm, jein. Also es kommt auch drauf an, wo man sich in Brasilien bewegt. In Süd Brasilien gibt es tatsächlich ziemlich viele blonde Leute. Sehr viel Einwanderung aus der Ukraine, aus Deutschland, aus Polen, vor allem im 19. Jahrhundert, aber auch bis heute. Und da habe ich mich angestellt in der Schlange und sah, glaube ich, aus wie eine Rucksacktouristen, eine arme Rucksacktouristen, weil ich in dieser Schlange stand. Ja, ich hatte so eine, die habe ich, glaube ich, heute auch dabei. Ich hatte so eine bunte Bauchtasche, um und dann wurde ich erst mal auf Spanisch angesprochen und mir wurde ein Frühstück angeboten.

ER:

FB: Wie haben die Leute reagiert auf deine Forschung?

FB:

ER: Es ist, ähm, ganz unterschiedlich. Also gerade von der sozialen Bewegung gibt es ein großes Interesse an meiner Forschung und da habe ich auch konnte ich auch toll zusammenarbeiten mit Teilnehmer:innen dieser Bewegung, die und ich habe auch als ich als meine Forschung zu Ende war eine eine Köchin und eine Aktivistin, die auch Köchin aus dieser Küche ist und die mitgegründet hat und jetzt aber auch politisch aktiv ist. Habe die mitgenommen an die Uni und habe so ein bisschen meine Ergebnisse mit denen diskutiert und das ist total hilfreich. Also, dass das war, es war richtig schön, dass das irgendwie so geklappt hat, dass das so zusammengekommen ist. Also da arbeite ich auf jeden Fall eng mit denen zusammen. In anderen Kontexten, wie jetzt zum Beispiel der Kirche, ist es bestimmt schon eher so eine gewisse Wissenschaftsskepsis würde ich mal sagen. Insgesamt, aber ich habe keine keine größeren Schwierigkeiten gehabt, trotzdem da zu forschen. Also es hat ein bisschen Zeit gebraucht, mehr Zeit gebraucht, bis sich das Vertrauen der Menschen so weit hatte, dass ich in dieser missionarischen Suppenküche mitarbeiten durfte. Also ich habe erst mal auch andere Sachen gemacht, Gottesdienste besucht, ähm, äh, in so einem, äh, in so einem, wie nennt man das, Second Hand Laden von dieser Kirche mitgearbeitet und auch ja einfach erst mal verschiedene Menschen da kennengelernt und dann war das aber kein Problem. Aber das ist natürlich dann oder es kam schon mal hin und wieder ja, so auf jeden Fall. Ähm, Situationen, wo es wo es hätte zu Differenzen kommen können. Aber ich habe mich dann immer eher versucht, auf meine Beobachterinnen Position zurückzuziehen.

ER:

FB: Ja, ja und was machst du dann? Also du hast dann quasi beobachtet, dir wahrscheinlich ganz viele Notizen gemacht. Was machst du dann mit den Notizen?

FB:

ER: Genau. Also ganz wichtig für meine Forschung ist für mich auf jeden Fall immer das Tagebuch. Also ich habe am Abend verschriftlicht, was, was ich erlebt habe. Ich habe Notizen und Protokolle und Audioaufnahmen von Interviews, aber auch von Diskussionen, die ich mit aufnehmen durfte, erstellt. Ich bin mit Leuten mitgegangen, sogenannte Go alongs, habe sie begleitet durch, durch die Stadt beispielsweise eine Person, die ich kennengelernt hatte bei einer Verteilung von der Kirche. Und der ist dann aufgetaucht auf einer Demonstration, die ich besucht habe und dann, also der hat da Essen abgeholt gehabt und dann habe ich ihn durch die Stadt begleitet und geguckt, wie. Wie ist die Perspektive, wie ist seine Perspektive als jemand, der da auf der Straße übernachtet? Ähm, solche Sachen habe ich gemacht. Und genau ich habe auch ein paar Videos aufgenommen, je nachdem auch was für den jeweiligen Kontext angemessen und vereinbar war. Genau, Gruppen, Interviews gemacht auch. Ja, und ich habe tatsächlich auch mit konservativen politisch eher Bolsonaro nahen Suppenküche geforscht und das dann in Curitiba, Curitiba ist von Brasilia von den brasilianischen Hauptstädten, die Stadt mit den meisten Bolsonaro Befürwortern. Und ich fand das aber ganz spannend, gerade in dieser sehr polarisierten Landschaft zu sehen, wie rechtfertigen oder wie, wie, wie Ja genau, also aus welchen Motiven engagieren sich Menschen in Suppenküchen auch aus unterschiedlichen sozialen Kontexten und unter schädlichen unterschiedlicher politischer Ideologien? Ja, weil es ja ganz spannend ist, dass das auch stattfindet. In der Cozinha solidária war das natürlich dann häufig verknüpft mit so einer linken Rhetorik, auch dann die auch da ja, während des Wahlkampfes haben sie ganz aktiv auch Lula unterstützt und Wahlkampf Kampagnen gemacht in der in der Küche, während in dieser baptistischen Kirche die Rechtfertigung für die also, oder die Begründung für die die Hilfeleistungen eher in so einem Dienst an Gott gesucht wurde, also und auch in den missionarische Anspruch dahinter stand. Also Sie haben auch gesagt, Ja, das Essen ist eigentlich für uns nur eine Entschuldigung, um den Leuten Jesus näherzubringen.

ER:

FB: Also Brasilien ist doch eigentlich sehr christlich. Sind die Leute, die in die Suppenküchen von den Baptisten Gemeinden gehen, nicht eh schon Christen?

FB:

ER: Das ist sehr unterschiedlich. Also ja, Brasilien ist sehr christlich, war traditionell sehr katholisch. In den letzten Jahren haben vor allem evangelikale Gemeinden sehr viele Katholikinnen abgeworben. Und jetzt die die Menschen, die angesprochen werden. Da geht es, glaube ich, gar nicht so unbedingt darum, was die jetzt davor für eine Religion hatten, ob die eine Religion hatten, sondern dafür, sie für diese Kirchengemeinde zu gewinnen. Und es wurden vor allem Crack-Abhängige adressiert, die dann quasi wieder auf den Weg Gottes gebracht werden sollten.

ER: Unabhängig davon, auf welchem Weg sie sonst sich schon befunden haben.

ER:

FB: Und in den anderen geht es eigentlich darum, dass dass man quasi eigentlich ja auch um zu konvertieren, aber zu zu politischen Idealen, oder?

FB:

ER: Ja, es geht also die Cozinha solidária wehrt sich dagegen zu sagen okay, das dass es hier bei der Hilfeleistung um irgendwas mit Politik gehe. Also ganz, ganz anderes Narrativ als jetzt in der in der baptistischen Kirche, sondern die sagen okay, wir wollen das, wir wollen das auf jeden Fall trennen, Das soll nichts damit zu tun haben.

ER: Jeder kann hier sich Essen abholen, das interessiert uns nicht was ihr wählt oder so ähnlich. Aber gleichzeitig finden in dieser Küche, also das ist auch ganz interessant, finde ich, diese Küche ist nicht nur eine Küche, sondern ist ein Gemeinschaftsraum, der der Politisierung dienen soll. Also die haben vor dieser Küche, wo auch dann Stühle stehen, an denen man essen kann, auch eine Bibliothek eingerichtet, wo man sich Bücher ausleihen kann.

ER: Man kann dahin kommen, um Probleme beispielsweise von Beziehungsgewalt oder so was zu teilen. Ähm, und es ist sogar geplant, einen zweites Stockwerk zu haben mit einem so privaten Raum für solche, solche Arten von Anliegen und ja, und es finden von der Bewegung, aber das sind dann nicht die Leute, für die das Essen gekocht wird, also für die wird auch Essen gekocht, aber die sind jetzt nicht die Adressaten, primär, der Hilfeleistung. Aber die treffen sich dort auch, um sich politisch zu mobilisieren und Plakate vorzubereiten beispielsweise. Also da findet dieser Raum wird für verschiedene Aktivitäten der Bewegung auch genutzt.

ER:

FB: Und was genau untersuchst du dort? Also es geht ja bei uns auch immer darum, wie Menschen sich gegenseitig unterscheiden. Also welche Unterscheidungen werden da aufgemacht?

FB:

ER: Genau. Also ich finde es interessant in in Kontaktzonen der Hilfe zu gucken. Wie werden Leute beispielsweise als hilfebedürftig klassifiziert und wie navigieren Menschen diese Hilfesysteme, die beispielsweise dort Nahrungsmittel sich abholen? Wie wie ist, wie ist das eingebunden? Wie klassifizieren sie die Leute, die Ihnen diese diese Nahrung verteilen. Da fande ich zum Beispiel ganz interessant, also was so so Klassifizierung Arbeit angeht, noch eine eine Gruppe, über die ich jetzt bisher noch nicht geredet habe, war auch aus Curitiba, so eine nachbarschaftlich organisierte Gruppe. Mit der sind wir dann abends losgefahren, um um halt die gekochten Essen zu verteilen und haben dann gesucht auf der Straße. Wo könnten wir anhalten, um dieses Nahrungsmittel zu verteilen? Und dann beginnt die Klassifizierungsarbeit, weil du dann denkst okay, wir müssen jetzt, wenn wir wollen oder sie wollten ansteuern. Leute, die auf der Straße leben, das heißt, sie gucken auf die Straße, gucken, was finden sie da? Dass sehen sie da. Dann gab es zum Beispiel Situationen, wo Sie gesagt haben okay, ähm, ja, ich glaube, da sitzt jemand. Dann sind Sie in die Richtung gefahren und dann war es ein Müllsack. Also da finden und da finden Klassifikationen Prozesse statt, die, die oft ganz spontan vollzogen werden und die über diese den Anspruch der Hilfeleistung bestimmte Menschengruppen formen und adressieren.

ER:

FB: Also zum Beispiel auch gucken, wer schläft auf dieser Parkbank und wer ruht sich da einfach gerade nur kurz aus. Beispielsweise so was?

FB:

ER: Ja genau, oder dann auch so Grenzfälle. Also ähm, ja, diese Person arbeitet hier als Parkplatz Einweiser, aber bekommt jetzt trotzdem ein Essen, weil wir wissen, das ist zwar irgendwie eine Art von von Job. Und man weiß nicht, ob die Person auch da auf der Straße lebt, wo sie jetzt arbeitet mit der gelben Warnweste. Aber sie bekommt dann auch das vorbereitete Essen.

ER:

FB: Weil das ist einfach ein Job, von dem man nicht leben kann.

FB:

ER: Genau weil davon ausgegangen wird, ja.

ER:

FB: Es gibt ja auch die Trabalhadores sem teto, also die Arbeiter ohne Dach. Ja genau. Also wie sein Job wäre. Komisch, dass das ein Ausschlusskriterium wäre.

FB:

ER: Ja, genau. Das ist wiederum. Aber das müssen wir trennen. Das ist eine andere Gruppe, die nicht mit dem Auto rausfahren und Sachen verteilen, sondern die verteilen aus der aus der Küche. Da kommen die Leute hin. Aber genau dieses, wie diese Trabalhadores sem teto funktioniert, das ist auch eine Form von Klassifikation, die, die ich als so eine Art Klassen Kategorie verstehe, also die sich dann darüber definiert, dass also es sind nicht nur Leute ohne Dach, die tatsächlich obdachlos leben, sondern diese Klassifikation dehnt sich aus auf Menschen beispielsweise, die zum also die als Gefallen irgendwo wohnen oder die in prekären Mietverhältnissen wohnen, sozusagen, das ist eine größere Kategorie also.

ER:

FB: Die quasi kein sicheres Zuhause hat?

FB:

ER: Die verschiedene prekäre Wohnverhältnisse einschließt? Genau.

ER:

FB: Du hattest ja vorhin erwähnt, dass in der Suppenküche vor allem Frauen arbeiten. Weißt du, wir hatten das ja auch mit Heike Drohtbohm im Podcast schon. Weißt du, woran das liegt?

FB:

ER: Genau. Ja, also gerade so arbeiten wie wie kochen, die dem häuslichen Raum zugeordnet werden, werden auch in Brasilien überwiegend von Frauen übernommen. Auf jeden Fall. Allerdings ist es so, dass nur in der Cozinha solidária, an der ich gearbeitet habe, hauptsächlich Frauen gearbeitet haben. In den anderen Gemeinschaftsküche war das Verhältnis eher ausgeglichen. Ja, also kann man nicht sagen, dass es vorwiegend Frauen waren, die sich da engagiert haben, sondern genau zu einem ähnlichen Teil verschiedene Geschlechter. Okay, ja, es war nicht so, dass es hauptsächlich Frauen waren, die gekocht haben.

ER:

FB: Und in anderen Bereichen war es da auch eher ausgeglichener, oder? Also zum Beispiel in der Wohnungslosenhilfe,

FB:

ER: Also in der Bewegung, haben Frauen häufig die leitenden Positionen übernommen und die ja, das. Das fand ich ganz, ganz spannend, weil die sich gerade auch anderen Besetzterbewegungen entgegenstellen wollten, die eher männlich dominierter organisiert sind. Und die haben damit auch in ihrer Organisation, also von den urbanen Besetzung Bewegungen ist das auf jeden Fall die größte, haben sie sich erfolgreich etabliert? Genau.

ER:

FB: Was ist eigentlich ein Binarismus?

FB:

ER: Ja, Binarismus bedeutet, wenn man Dinge in zwei Gegensätze unterteilt betrachtet, also zum Beispiel Mann und Frau oder in asymmetrischen Hilfe Beziehungen zu sagen, okay, das ist, wir haben die Helfenden und die Hilfe Empfänger und nicht zu sehen, okay, Menschen haben sehr verschiedene Funktionen. Das müssen nicht zwei sein, müssen nicht in zwei Kategorien denken. Wir müssen nicht in Mann und Frau denken, wir müssen nicht in Helfende und Hilfeempfänger denken. Im Gegenteil, Wenn wir das nicht tun, dann eröffnen sich uns neue Dinge, die wir so erst überhaupt sehen können, die wir nicht sehen können, wenn wir verhangen bleiben in unserem Binarismus.

ER:

FB: Gedanklich kann man dann wahrscheinlich auch ganz viel immer ausklammern, was zufällig gerade nicht ins Bild passt.

FB:

ER: Genau da tendiert man dann dazu, diese Dinge auszuradieren oder einzuordnen, bevor man sich das ein bisschen distanzierter angeguckt hat.

ER:

FB: Ja, genau. Dann wollte ich noch fragen Ist es denn so, dass es, dass man so klar unterscheiden kann in Helferinnen und Menschen, denen geholfen wird? Oder gibt es da auch Überschneidungen oder Rollenwechsel oder so was?

FB:

ER: Das haben wir ganz am Anfang festgestellt während unserer Forschung, dass es wichtig ist, diesen Binarismus zu überkommen, weil der unsere Forschungsperspektive ganz stark einschränken würde und weil es einfach faktisch oft nicht so klar zumutbare Rollen sind. Und das sieht man oft nicht, wenn man mit diesem Zuschnitt ins Feld geht.

ER: Deshalb haben wir uns für den Begriff der Kontaktzonen der Hilfe entschieden in unserem Projekt Titel und das ist eben ein Raum, wo verschiedene Menschen zusammenkommen, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Und jetzt, beispielsweise bei der Cozinha solidária ist es eine Gemeinschaftsküche, da kochen, wie gesagt, vor allem Frauen, die in dieser Bewegung aktiv sind. Aber an anderen Tagen sind es auch die gleichen Personen, die auch sich warme Mittagessen dort abholen. Also das wird als gemeinschaftliches Projekt mit einem emanzipatorischen Ziel verstanden

FB: Und es ist in den Kirchen auch so?

FB:

ER: In den Kirchen ist diese, wird diese Unterscheidung stark hochgefahren, auch räumlich. Also die Kirche befindet sich in einem reichen Stadtteil von Curitiba, da wird auch gekocht und die für die Verteilung fährt dann ein Bus mit, also ein kleiner Bus und VW Bus mit den zubereiteten Suppen, tatsächlich in dem Fall, ins Stadtzentrum und in ein ärmeres Viertel, das ja, in dem vor allem viele Crack-abhängige Menschen leben.

ER:

FB: Und die Crack-Abhängigen? Die kommen aber nicht in die Kirche, um mit zu kochen oder was?

FB:

ER: Was es in der Kirche ganz viel gibt, sind Leute, die zum Beispiel mal im Gefängnis waren oder mal eine Drogensucht hatten und die dann das auch immer als Überwindungsgeschichte erzählen, dass sie jetzt eben zu Gott gefunden haben. Und nun über die Praktik der des Kochens beispielsweise sein Werk ausführen.

ER:

FB: Ja, schön. Ja, also sowohl diese Gleichzeitigkeit als auch, dass es das einfach in der Biografie wechselt.

FB:

ER: Ja, ja, das gibt es viel, auf jeden Fall. Aber es gibt auch Leute, die die aus der Mittelschicht, aus der gehobenen Mittelschicht kommen und sich da engagieren. Und das dann häufig als Möglichkeit zur Überwindung ihrer Depressionen oder so was beschreiben.

ER:

FB: Ah ja, was ich auch noch spannend fand in deinem Blogartikel hast ja auch noch geschrieben, dass in der Bewegung teilweise die Frauen die, die in der Küche arbeiten, super religiös sind und Kirchenlieder singen bei der Arbeit, während die Frauen in der Führungsebene eher das Politische in den Fokus stellen. Gibt es da eigentlich auch Konflikte?

FB:

ER: Tatsächlich wird das auch inkorporiert, ein Stückweit die religiöse Ebene. Also so ein bisschen so ähnlich wie bei der Bewegung der Befreiungstheologie in der dann die Bibel mit genutzt wurde, um ja sozialistische oder kommunistische Ideale zu bewerben, in dem Fall von der Bewegung spielt das eine größere Rolle, wenn neue Mitglieder rekrutiert und ausgebildet werden, weil sie davon ausgehen, dass gerade in Favelas und in ärmeren Bevölkerungsschichten Religion eine ganz, ganz wichtige große Rolle spielt. Und da geht auch die Bewegung drauf ein und genau und nutzt dann teilweise auch diese Rhetorik, wobei sie eigentlich ja eine politische Bewegung ist, die sich von der Religion eher abgrenzt und die Leute, die in der Bewegung aufsteigen auf die politische Riege. Das finde ich auch ganz interessant. Da meinte auch eine zum Beispiel sie, sie war erst halt in der Kirche aktiv und dann hat sie halt über das Engagement sich politisiert und jetzt da ja ihren Zugang gefunden.

ER:

FB: Wie kommt es denn eigentlich, dass du an Brasilien und an diesem Thema gerade das große Interesse hast?

FB:

ER: Ja, also ich ja, ich habe tatsächlich sehr Glück, dass das Ich, dass ich in dieser auf dieser Stelle arbeiten kann, weil ich mich schon ganz lange für Brasilien interessiere und auch immer wieder in Brasilien war. Seit zehn Jahren habe ich immer wieder alle Möglichkeiten genutzt, um in verschiedenen Städten Brasiliens beispielsweise Praktika zu machen oder Auslandssemester. Oder ich habe auch schon meine kurze Zeit als Deutschlehrerin in der Grundschule gearbeitet oder mal ein Praktikum gemacht in der Registrierung von Cilombo Gemeinden oder so. Also ich habe sehr, sehr unterschiedliche Dinge gemacht, so in den letzten zehn Jahren in Brasilien und gleichzeitig bin ich Ethnologin und ähm ja und das war eigentlich immer mein Traum, meine Promotionsforschung irgendwie zu Brasilien zu machen. Und ich habe mich während meines Studiums und während meiner Masterarbeit auch schon für Hilfepraktiken und Humanitarismus interessiert. Also in meiner Masterarbeit habe ich mich mit einem Flüchtlingslager in Costa Rica beschäftigt und in den Kontroll und Versorgungs Praktiken dieses Lagers. Dementsprechend war das ein Thema, was mich sowieso schon interessiert hat. Und gerade der Bereich ähm der Bereich Nahrungsmittelhilfe finde ich, ist sehr interessant, weil das so eine grundsätzliche Form der Reproduktionsarbeit ist, also der Erhaltung des menschlichen Seins. Und, ähm, als solcher mich auch besonders interessiert. Ja, und es war, aber es ist ich habe mich tatsächlich, was dieses Thema angeht, ein bisschen leiten lassen von meinem Feld. Also ich bin offen reingegangen und habe überlegt, welche Praktiken gucke ich mir an? Und dann habe ich gemerkt, dass gerade Nahrungsmittelhilfe in Brasilien ganz besonders relevant ist. Also ich kam ja auch an, als die Pandemie noch in einer ganz anderen Phase war, alle Masken getragen haben und ja, Bolsonaro an der Macht war ja im Januar 2022, also genau, ja, bei der Cozinha solidária haben sie auch am Anfang gedacht, ob sie Nahrungsmittel austeilen sollen. Einfach, dass die Leute sich das zu Hause zubereiten, Reis mit Bohnen und so, weil dann haben sie festgestellt, okay, die haben gar keine. Die Leute, die, die wir hier adressieren würden, die meisten von denen haben überhaupt kein Geld, sich das Gas zu leisten, um das zu kochen. Und dadurch kamen sie dann darauf, das direkt zu kochen.

ER:

FB: Gibt es Gründe dafür, warum die Situation sich so verschlechtert hat? Also während Corona?

FB:

ER: Also genau Corona, die die schlechte, die die schlechte Sozialpolitik, schlechte Regierungspolitik, Inflation. Ähm, also verschiedene Faktoren. Und gleichzeitig gibt es natürlich neben diesen so sehr, weil bei diesen, bei diesem wenn man sich so auf Krisen konzentriert, dann lässt man oft aus dem Blick, was eigentlich verstetigte Probleme sind, die auch schon die ganze Zeit dazu beitragen, dass diese Situation entsteht. Zum Beispiel Brasilien ist ein riesiger Lebensmittel Mittel Produzent, aber vor allem halt sind bezieht sich das auf Großbauer:innen Bäuerinnen, die Soja, Fleisch und ähnliche Produkte für den Export produzieren und damit riesige Flächen für den Nahrungsmittel Anbau der Versorgung der brasilianischen Bevölkerung blockieren. Und dazu kommt, dass also das größte Hungerproblem haben in Brasilien urbane Zentren, wo die Menschen auch keine Möglichkeit haben, sich selber Dinge anzubauen.

ER:

FB: Wenn es auf dem Land hat man vielleicht doch ein kleinen Garten.

FB:

ER: Genau, wenn man, wenn es finanziell knapp wird.

ER:

FB: Und hat sich da inzwischen was gebessert?

FB:

ER: Also Lula, ähm, die Lula Regierung hat sich diesem Hungerproblem auf jeden Fall verschrieben von Anfang an, sie haben jetzt im Juli auch die Cozinha solidária und insgesamt diese Initiativen von freiwilligen Gemeinschaftsküchen zur öffentlichen Politik erklärt und wollen die mit öffentlichen Geldern unterstützen. Und da finden gerade verschiedene Programme statt und man kann sich da registrieren lassen, also da Hilfe zu erstatten,

ER:

FB: Gegen akuten Hunger nicht unbedingt gegen die strukturellen.

FB:

ER: Genau das ist jetzt auch was gemacht. Das ist erst mal der Ansatz, die akut akuten Probleme anzugehen. Aber das, was also es ist ja jetzt gerade, ähm, noch kein Jahr her, also noch kein Jahr her, dass er gewählt wurde und noch gerade mal zehn Monate her, dass das die Regierung gewechselt hat. Also das sind natürlich Prozesse, die eine viel längere Zeit brauchen. Darüber hinaus darf man auch nicht vergessen, dass neben Lula als Präsident sehr viele andere aus beispielsweise der Partei von von Jair Bolsonaro gewählt worden sind und in den Parlamenten nicht unbedingt eine Mehrheit für solche Politiken zu zu bekommen ist.

ER:

FB: Okay, ähm, du hast aber auch gesagt, du hast nicht nur Nahrungsmittelhilfe untersucht, oder was hast du noch gemacht?

FB:

ER: Ich war vor allem beim MTST, auch in Besetzungen und habe mir-

ER:

FB: Das ist wieder die Obdachlosenbewegung?

FB:

ER: Das ist die Obdachlosen Bewegung. Genau. Ich habe da auch teilgenommen bei Fortbildungs Wochenenden zum Beispiel, oder habe mir angeguckt, wie diese Besetzungen organisiert sind. Also das ist ganz interessant, finde ich, die besetzten Landflächen in der Peripherie von urbanen Zentren, die beispielsweise verschuldet sind oder bereits öffentliches Land sind und probieren dann mit der Hilfe von Antwält:innen, die Vergesellschaftung dieser Flächen voranzutreiben. Und es gibt in der brasilianischen Verfassung eine Festlegung, dass ein bestimmter Anteil von Stadtflächen sozialen Zwecken zugute kommen muss. Und darauf können sie sich berufen um dann zu bewirken, dass mit dem Programm Mia casa mia vida, also mein Haus mein Leben, das Lula initiert hatte, noch in seiner vorherigen Regierungsphase mithilfe dieses Programmes dann Sozialwohnungen bauen können. Und das finde ich ganz spannend, auch diese Kooperationen von sozialen Bewegungen mit staatlichen Strukturen.

ER:

FB: Was hast du da gemacht?

FB:

ER: Da war ich vor allem bei Versammlungen mit dabei, ich hab die Besetzungen kennengelernt, war auf Demonstrationen. Die Besetzungen bestehen meist aus Bambus- und Planenzelten und einige von denen sind auch bewohnt. Das heißt die Leute ziehen da dann auch ein und bleiben da und andere sind symbolisch. Beispielsweise von Leuten, die irgendwo bei Familienangehörigen untergekommen sind aber das symbolisiert quasi, dann die Teilhabe am Kampf.

ER:

FB: Also den Wohnraum den die Leute eigentlich brauchen würden.

FB:

ER: Genau. Und ja, da gibt es immer wieder verschiedene - Also erstmal gibt es die Struktur dieses Camps, die interessanterweise auch wie in so kleine Stadtviertel unterteilt ist in diesen Camps. Die sind oft auch riesengroß. Da sind oft auch tausende Menschen, die da diese Flächen besetzen. Und jede Gruppe, jedes kleine Stadtviertel hat auch eine Gemeinschaftsküche. Und die ist Begegnungsraum. Da hab ich auch mal mitgekocht und dabei die Leute kennengelernt und das ist ganz spannend finde ich, wie quasi die Wichtigkeit von kochen und Versorgung ganz explizit miteinbezogen wird in die politische Organisation und in den Kampf, weil klar ist die Leute arbeiten, die meisten in prekären Jobs und gleichzeitig muss aber dieser Aktivismus irgendwie gewährleistet sein. Und dafür sind so Zusammenkünfte bei so gemeinsamen Essen zum Beispiel eine sehr sinnvolle Organisationsform. Jetzt bin ich schon wieder bei den Küchen gelandet, also ich bin auch immer wieder irgendwie da gelandet. Ja.

ER:

FB: Und wie ist das Leben in diesen Zeltstädten? Also so stelle ich mir das vor, ich stelle mir das sehr schwierig vor in so einer provisirischen Zeltstadt zu leben, auch mit Hygiene, Wasser.

FB:

ER: Ja, das bauen die Menschen die da Leben selbst auf. Da gibt es immer Menschen, die schon viel Erfahrung damit schon haben, weil sie zum Beispiel auch für die Stadt arbeiten und da irgendwelche Stromleitungen verlegen oder Klemptner sind und da entstehen dann relativ schnell natürlich noch recht provisorische Strukturen, aber das wird immer grundsätzlich auf jeden Fall sichergestellt.

ER:

FB: Und wie gut sind die Chancen, dann man dann irgendwann tatsächlich richtige Häuser hat und da ganz offiziell und legal wohnen darf?

FB:

ER: Ja das hängt natürlich immer von den politischen Gegebenheiten der Zeit jeweils ab. Also es gibt auch viele von diesen Besetzungen, die gewaltsam aufgelöst werden und zerstört werden und andere enden in wunderschönen Sozialwohnungen wie zum Beispiel die Besetzung hinter der Küche in der ich gearbeitet hab. Da stehen jetzt Hochhäuser, die eben durch den Kampf um Wohnraum der Bewegung erreicht worden sind.

ER:

FB: Und die Humandifferenzierungen die du dir anguckst sind eher die spontanen, wie wird jemand als Hilfesuchender -

FB:

ER: Das hat verschiedene Dimensionen. Also es gibt diese spontan, affektive Dimension, dann gibt es bürokratische Verfestigungen von Kategorien.

ER:

FB: Wie zum Beispiel dann als?

FB:

ER: Wie zum Beispiel Pessoa em situação de rua. Also das wäre dann übersetzt als Person in Straßensituation. Das wäre dann zum Beispiel so ein Begriff, der gerade Konjunktur hat um Obdachlose zu benennen. Und der taucht jetzt auf in Statistiken beispielsweise und wird von einigen zivilgesellschaftlichen Organisationen auch als der bessere Begriff beworben im Gegensatz zu morador de rua was Straßenbewohner wäre und womit eine essenzialisierende Festschreibung mit Verbunden wird. Personen die dann aber als Pessoa em situação de rua bezeichnet werden, da hab ich auch schon mitbekommen, dass die sich dagegen gewehrt haben weil trotzdem schon klar war, okay, ich werde mit Straße verbunden, das ist irgendwie eine Abweichung, hier wird aufgemacht ein Unterschied zwischen Leuten die in Häusern wohnen und Leuten die auf der Straße wohnen und ich werde dadurch stigmatisiert, egal mit welcher Art von Begriff. Aber da ist natürlich die Frage, ja, auf welcher Ebene man sich bewegt und wenn es jetzt um statistische Zählungen oder sowas geht dann suchen diese Stellen nach einem Begriff um beispielsweise Menschen die auf der Straße Leben zu quantifizieren.

ER:

FB: Was würdest du machen wenn du keine Ethnologin wärst?

FB:

ER: Wenn ich keine Ethnologin wäre... Manchmal beneide ich meine Freundin Elsa, die, und das ist total ungerechtfertigt, dass ich sie beneide, weil es eine wahnsinnig harte Arbeit ist, die sie macht, aber sie arbeitet als Bäuerin, genau, in einer solidarischen Landwirtschaft und baut da Gemüse an und das romantisiere ich manchmal und denk mir so, ach, das könnte ich doch, das hätte ich doch auch machen können. An der frischen Luft, ja, genau. Aber da sind wir auch schon wieder bei meinem Nahrungsmittelthema, auf jeden Fall.

ER:

MM: Fragen aus dem Publikum:

MM:

FB: Genau und ich hab Keiko noch gefragt, aus Folge zwei, und die würde auch gerne wissen, wie trifft man denn überhaupt die Leute, mit denen man forscht, wie machst du das?

FB:

ER: Also das ist so ein bisschen ein Schneeballeffekt. Man lernt erst mal ein paar Leute kennen aus einer Gruppe oder in einem bestimmten Kontext, in einer bestimmten Kontaktzone der Unterstützung und wenn man dann eine Person kennengelernt hat, die beispielsweise sich an dem Abend von dieser Gruppe abgeholt hat und dann trifft man sie an einer anderen Verteilaktion wieder und dann stellt sie einem vielleicht noch ein paar Freund:innen vor und so erweitert man seinen Kreis der Leuten, mit denen man potenziell forschen kann. Es ist immer wichtig, gute Beziehungen aufrecht zu erhalten, genau. Und ich hab jetzt auch eine wirklich lange Forschung gemacht, über zehn Monate insgesamt und das ist schon so eine Zeit, in der bauen sich auch tiefe Bindungen und Beziehungen auf zu einigen Leuten.

ER:

FB: Das heißt du hast auch tiefe Freundschaften getroffen?

FB:

ER: Ja auf jeden Fall, mit denen ich auch nach wie vor regelmäßig in Kontakt bin.

ER:

FB: Wann fährst du das nächste Mal wieder nach Brasilien?

FB:

ER: Gute Frage, das muss ich mit Heike - wann fahr ich das nächste Mal nach Brasilien? Also es ist noch eine letzte Phase geplant, wahrscheinlich nächstes Jahr für ein zwei Monate.

ER:

FB: Cool, dann viel Freude in Brasilien.

FB:

ER: Danke.

ER:

FB: Dankeschön. So, das wars erstmal aus Brasilien. Nächstes Mal gibt es ein Gespräch mit Till van Rahden von der Université de Monreal in Kanada. Er war letztes Jahr als Fellow bei uns in Mainz. Er forscht unter anderem zu der Demokratiegeschichte. Wir sprechen über Begriffe wie Vielheit, Mehrheit und Minderheit. Und über die Geschichte des Antisemitimus.

FB:

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