Geben/Nehmen: Wer sorgt sich um wen? Und was ist eigentlich Sorge?

Shownotes

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Was ist der Zusammenhang zwischen Care oder Sorgearbeit, sozialer Ungleichheit und Macht? Wer erhält Unterstützung und wer leistet sie? Und inwieweit beeinflussen politische Spannungen in Brasilien die Frage, wem geholfen werden sollte? Heike Drotbohm ist Ethnologin und beschäftigt sich mit Care, also damit, wie Menschen sich um andere Menschen kümmern. Dabei werden zahlreiche Unterscheidungen zwischen Menschen getroffen, etwa wer berechtigt ist, Hilfe zu empfangen oder wer in der Lage ist, diese zu leisten.

Prof. Dr. Heike Drotbohm leitet unser Teilprojekt „Mit Sorge (Care) sortieren. Humandifferenzierung in Kontaktzonen der Hilfe“. Sie ist außerdem Professorin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz, wo sie auf die afrikanische Diaspora und transnationale Migration spezialisiert ist.

Heike Drotbohm leitet das Projekt "Mit Sorge (Care) sortieren. Humandifferenzierung in Kontaktzonen der Unterstützung". Sie ist als @hei_dro zudem auf Instagram und Twitter zu finden. Uns findet ihr ebenfalls auf Instagram, Threads und Mastodon.

Host: Friederike Brinker (Sonderforschungsbereich 1482 Humandifferenzierung) Producer: Marco Mazur (Zentrum für audiovisuelle Produktion) Studentische Hilfskraft: Julia Wollmann (Sonderforschungsbereich 1482 Humandifferenzierung)

Der SFB 1482 Humandifferenzierung ist an der Johannes Gutenberg-Universität und dem Institut für Europäische Geschichte in Mainz angesiedelt. Für Feedback, Fragen und Vorschläge schreibt mir gern eine Mail: sfb1482.kommunikation@uni-mainz.de

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HD: Ja, ich muss sagen, ich wusste das auch in der Form nicht. Ich habe das alles eher abstrakt gewusst. Und die Armen, die Art der Armut, also die Intensität der Armut, die hat mich erschüttert, vor allem aber auch hinsichtlich der der Wahrnehmung, wie der Staat eigentlich damit umgeht.

FB: Hallo, willkommen zum Podcast Sone & Solche. Wir sind das Podcast Team Friederike Brinker, Julia Wollmann und Marco Mazur.

FB: Was ist der Zusammenhang zwischen Care oder Sorgearbeit und Macht? Wer erhält Unterstützung und wer leistet sie? Und was haben die Wahlen in Brasilien damit zu tun, wer in welche Suppenküche geht? Heike Drotbohm ist Ethnologin und beschäftigt sich mit Care, also damit, wie Menschen sich um andere Menschen kümmern. Dabei werden zahlreiche Unterscheidungen zwischen Menschen getroffen, etwa wer berechtigt ist, Hilfe zu empfangen oder wer in der Lage ist, diese zu leisten.

FB: (Intro) Sone und Solche. Ein Podcast über Menschen und wie sie sich unterscheiden und wie die Kulturwissenschaften dazu forschen. Mit dem SFB Humandifferenzierung und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte.

FB: Was? Was ist denn eigentlich Care oder Sorge?

HD: Der Begriff ist für uns erst mal so eine zentrale Heuristik, um darüber nachzudenken: Wie können wir überhaupt über Unterscheidungsvermögen nachdenken, die also in Kontexten stattfinden, wo die Frage: „Wer wird unterschieden?“ Noch gar nicht so eindeutig geklärt ist. Also im Deutschen, sagen wir Sorge im Englischen Care, und das ist in allen Sprachen eine ganz spezifische Begriffssemantik. Also in den beiden Sprachen, die ich gerade genannt habe, unterscheidet sich das auch. Im Deutschen sprechen wir eben von Zuwendungen, von Betreuung, Versorgung oder Pflege. Und es kann eben auch negativ konnotiert sein, wenn wir über so was nachdenken, wie sich Sorgen machen oder besorgt sein. Im Englischen haben wir, es ist eigentlich auch ähnlich, aber was da eben noch mal praktisch ist, ist die Unterscheidung zwischen einerseits to care for und to care about. Und das kann man gut nutzen, um zu unterscheiden zwischen einerseits sich um etwas kümmern, sozusagen das praktische Tun der Sorge und to care about, sich für etwas interessieren oder sich Sorgen machen um etwas. Und das ist so eine Unterscheidung zwischen einerseits dem praktischen „Hands on“ Formen der Zuwendung einerseits und dann andererseits emotionale Varianten, also eine Art kognitives Sich in Beziehung setzen. Also da sind eben ganz wichtige Elemente drin, die wir gut nutzen können, um aus ganz unterschiedlichen Perspektiven darüber nachzudenken, wie Menschen miteinander interagieren.

FB: Ah, okay, weil ich hatte eigentlich gedacht, dass das mit Pflege was zu tun hat. Also so was wie Pflegearbeit, Sorgearbeit.

HD: Das ist eine Begriffsassoziation, die sich etabliert hat und die auch gerne in der sozialwissenschaftlichen Forschung fokussiert wird. Das hat mit der jüngeren Geschichte der Sozialwissenschaften und vor allem mit der feministischen Forschung zu tun, die eben seit den 70er Jahren den Care Begriff nutzt, um sich mit der untergeordneten Position von Frauen vor allem in westlichen Gesellschaften auseinanderzusetzen, also Frauen, die unterbezahlte oder unbezahlte, bei uns als weiblich konnotiert und dem Haushalt zugeordnete Tätigkeiten übernehmen. Das ist das, was wir unter Care Arbeit, also Pflegearbeit, was wir darunter verstehen. Also arbeiten die sich aus einer kritischen Perspektive auch damit beschäftigen, wie Kinder, Alte, Kranke versorgt werden. Aber auch wer sich um den Haushalt kümmert, wer Tätigkeiten vollzieht wie putzen, Wäsche waschen, aufräumen. Also die Bereiche, die der niederen ökonomischen Sphäre zugeschrieben werden, obwohl sie gleichzeitig das Rad des Lebens am Laufen halten, sozusagen. Genau dieser Punkt wird eben von dieser Art von Forschung über die Auslagerung dieser als weiblich konnotierte Tätigkeiten in die Care Industrie, also in Krankenhäuser, Alten oder Pflegeheime, in den Blick genommen. Das ist etwas, was schon viel gemacht worden ist. Und in den letzten ungefähr zehn Jahren wurde der Begriff ausgeweitet und jenseits dieser politikwissenschaftlichen und feministischen Forschungen auch von zahlreichen anderen Disziplinen benutzt. Und da gehört eben die Ethnologie mit rein, die dann eben nicht nur die Versorgungspraxis im Haushalt für die eigenen Angehörigen, sondern auch ganz andere Tätigkeiten, also jede Art von sich kümmern, sich kümmern um Tiere, die Pflege von Gärten, das Darbieten von Opfern gegenüber Göttern oder Geistern oder auch eben die Beratung von Geflüchteten oder die Versorgung oder die Bergung von Opfern einer Erdbebenkatastrophe oder eine bestimmte Art von Bestattung. Das heißt das Spektrum dessen, was man sich angeguckt hat, was man mit diesem Begriff versucht sich anzuschauen, das ist immer breiter geworden. Aber es hat sich eben auch als sinnvoll erwiesen. Und das machen wir uns zunutze in diesem Projekt.

FB: Das heißt, das ist so ein extrem breiter Sammelbegriff, unter dem quasi alles fällt, was bedeutet, man kümmert sich um irgendwas oder irgendjemanden.

HD: Genau, man kümmert sich, man sorgt sich. Aber es ist eine Form der Beziehungsgestaltung. Und ich denke, dass diese Breite des Begriffs auch irritierend sein kann, dass man das auch als Problem empfinden kann. Also es geht im Grunde darum, dass innerhalb von einem Begriff oder wenn ein Begriff besonders breit ist, dass dann Ähnlichkeiten auftreten können, die während gleichzeitig extreme Unterschiede auch an in den Blick kommen, die die Dinge eigentlich auseinander halten würden. Und in Bezug auf das, wo wir hier arbeiten, hilft uns das, die normativen Grundlagen in den Blick zu bekommen. Anhand derer diese Dinge, also zum Beispiel Beziehungen, Praktiken und Objekte, eigentlich als unterschiedlich wahrgenommen werden, aber doch auch verglichen werden können. Also, um es an einem Beispiel festzumachen Wir könnten im Grunde, wenn wir mit dem Care Begriff arbeiten, sagen, dass es eben eine Eigenschaft einer Mutter ist, aber vielleicht auch die einer Klinik oder des Staates, dass sie sich kümmern, also dass ihnen zugeschrieben wird, dass sie sich kümmern sollen. Ihnen wird diese Position zugeschrieben, das heißt, es wird von ihnen erwartet und eventuell werden sie dieser Rolle also als Mutter, als Staat, als Klinik erst wirklich gerecht. Also im Auge der Gesellschaft, wenn es Ihnen gelingt, sich richtig zu kümmern, also in einer bestimmten Art und Weise, die von der Gesellschaft als angemessen angesehen wird. Warum ich das so ausführlich beschreibe, ist in all diesen, aber diesen drei Elementen ist CARE eine Familienähnlichkeit, bringt die Dinge in einen Betrachtungszusammenhang. Weil Care rollenkonstituierend ist. Und selbstverständlich müssen wir dann in der Forschung ganz genau hingucken. Das bedeutet also, es hört dann auch irgendwann auf die Familienähnlichkeit. Die Unterschiede werden dann eben in der Nuance, wie man Forschung umsetzt, relevant. Aber wir können uns das anschauen, um zu schauen, zum Beispiel, dass alle drei Kontexte, die ich jetzt beispielhaft genannt habe, mit Macht ausgestattet sind. Also die die Mutter, die Klinik und der Staat sind mit dem Recht ausgestattet, zu kontrollieren und zu sanktionieren. Und das bedeutet, dass eben und das ist jetzt ein ganz wichtiger Punkt für unsere Forschung, dass CARE in aller Regel eine asymmetrische Beziehung beschreibt. Und da passt das auch zu den drei Beispielen. Wir haben andere Begriffe, die eher gleichwertige gleichrangig Beziehungen beschreiben würden. So was wie Solidarität oder Freundschaft das wären alternativen Begriffe.

FB: Ich finde das total spannend, weil die, wenn ich jetzt zurückdenke an diese klassische Care Pflegearbeit, an die ich am Anfang gedacht habe, sind das ja eher Jobs, die gesellschaftlich, sagen wir mal geringeres Ansehen haben, als sie eigentlich haben sollten und dass das dann aber trotzdem stimmt, das sind ja auch immer Jobs, wo, wenn ich Krankenpflegerin wäre, hätte ich natürlich eine gewisse Macht über die Patientinnen und Patienten.

HD: Ja, ja, auch. Es geht auch um das genau, es geht um diesen Bezug, dieses Zugriffsrecht und ja, die Frage von Nähe und Distanz und wie das dann in den jeweiligen Kontexten auch ausgehandelt wird. Da gibt es eine hohe Legitimität von Zugriff und dann aber auch wieder nicht.

HD: Und das wird auch nicht nur von den beiden Positionen ausgehandelt, die da miteinander interagieren, also die die Position, die Care gibt, und die Position, die Care empfängt, sondern das ist eben auch jeweils ein Umfeld. Und also ich will gar nicht sagen, dass Asymmetrie dann bedeutet, dass das wie so eine Linie von links nach rechts laufen würde, sondern dass das ist auch ein Spannungsverhältnis. Es kann in Frage gestellt werden, es kann unterwandert werden, unterlaufen werden. Und so weiter. Aber ja, zunächst mal es ist so was wie das ist der erste Blick, den man darauf richtet. Und dann guckt man an der Stelle, wie man weiterkommt und auch natürlich, wo es seine Grenzen hat. Das ist bei Konzepten ja immer so. Die haben nur eine gewisse Reichweite.

FB: Ja, und mit diesen Rollen, die man hat, die quasi entscheiden, wer bestimmt, wie nah wir sind, wer muss es quasi ertragen, hat man ja quasi auch wieder diese Verbindung zur Humandifferenzierung, oder?

HD: Genau das ist dann die Art und Weise, wie wir unser Projekt aufziehen. Also wir fragen erst mal in unserem Projekt ganz offen danach, wie Menschen andere Menschen unterscheiden, und zwar in Zusammenhängen, in denen Menschen Unterstützung oder Zuwendung bedürfen und sie das eben von anderen erhalten. Und dabei arbeiten wir eben nicht über den privaten Raum oder über den medizinischen, klinischen, sondern im öffentlichen, über Netzwerke, Initiativen , NGOs, Nachbarschaften, also sozusagen was ganz anderes sozusagen unkonkretes unabgeschlossen. Es also ja, Orte oder Zusammenhänge, an denen Menschen Unterstützung erfahren. So was wie eine Nachbarschaftshilfe anlässlich von einem bestimmten Problem oder einer Krise, aber auch ja, ein kleiner Verein, der sich gebildet hat. Also wenn ich sag „klein“ ist zwar die Reichweite klein, aber das Phänomen ist schon groß. Also es sind große Bevölkerungsanteile, die über diese Art und Weise mit Menschen, die sie eigentlich nicht kennen, also das ist schon auch ein wichtiges Kriterium bei uns, in Kontakt treten und sich gegenseitig Unterstützung geben.

FB: Ja, stimmt, das mit Corona war das am Anfang auch ganz groß mit diesen Einkaufshilfen da was. Da hatten wir versucht was zu starten und dann festgestellt, das gibt überhaupt kein Bedarf mehr, weil es schon ganz viele Gruppen gibt

HD: Ja genau, das wurde ja auch direkt durch die durch die Social Media gestützt. Und da gibt es gab es dann innerhalb von Windeseile WhatsApp Gruppen in den Nachbarschaften, wo man auch Leute kennengelernt hat, die man vorher noch gar nicht kannte. Also das war eigentlich ganz schön. Also es sind sehr spontan entstehende Initiativen, oft ganz alltägliche Situationen und Corona ist eigentlich auch ein gutes Stichwort, weil das ganze Bedarf an informalisierter Fürsorge hat, eben auch damit zu tun, dass wir uns als in einem Zeitalter der Krise befindlich empfinden, also so eine. Wir haben eine gegenwärtige Zeit und Weltwahrnehmung, die so eine Art Zuspitzung erfährt, und das sind eben heute nicht nur die Kinder und die Alten oder Menschen mit Behinderung oder die Kranken, um die sich gekümmert werden muss. Es sind angesichts politischer und demografischer Veränderungen eben immer mehr Menschen, die auf die Versorgung von Menschen angewiesen sind, mit denen sie nicht verwandt sind und die eben nicht vom Staat versorgt werden. Also es gibt es, man muss schon auch zur Kenntnis nehmen, dass zahlreiche Programme öffentliche Versorgungsstrukturen weggebrochen sind, also zumindest in bestimmten Kontexten.

HD: Also die Krise, der Begriff beschreibt er im Grunde auch so Zuspitzungen, Momente, wo es dann gravierend wird. Und da weiß Covid ein Beispiel, weil dann natürlich Menschen nicht mehr sich selbst versorgen konnten, die es eigentlich konnten. Also zum Beispiel die Oma, die eigentlich nur die mit ihrem Rollator immer noch zum Supermarkt gehen konnte, die sollte das jetzt nicht mehr tun. Und dann sind andere reingekommen. Also das war da die Zuspitzung der Situation.

FB: und dann ist vieles ja auch wegen den Distanz Regelungen und so klar.

HD: Genau das war jetzt Covid und da darüber könnte man auch gut arbeiten, wie eben wie eben Care und verschiedene Unterstützungssysteme mit der Krise zusammenkommen. Was ich aber meine, sind im Grunde auch längere Perspektiven, unabhängig von so einer Zuspitzung, sondern eher dadurch, dass bestimmte öffentliche Strukturen weggefallen sind. Also das, was kann ich gleich auch noch mal erläutern, wenn es eher um die Fallbeispiele geht.

FB: Genau dann wollen wir jetzt aber auch noch mal kurz zurück zum SFB. Wie genau der Zusammenhang ist mit den sonstigen Projekten, würde ich mal sagen.

HD: Also es gibt ja in unserem SFB zum Beispiel Projekte, die sich mit der Situation von Menschen mit Behinderung beschäftigen. Und bei uns ist eigentlich das Spannende eher, dass wir davon ausgehen, dass wir es nicht genau wissen. Das heißt, wir gucken eher auf die Praktiken, die dann bestimmte Kategorien hervorbringen oder durch Kategorisierungen begleitet werden und dadurch eine Legitimität bekommen. Und eigentlich gehen wir eben zu Beginn der Forschung davon aus, dass wir es nicht wissen, weder die Position derer, die sich kümmern, noch die Position derer, die um die sich gekümmert wird, sondern dass wir das: wir halten das für eine grundlegend empirische. Und wir fragen: also wer wird auf welcher Grundlage als legitimer Empfänger von Unterstützung angesehen? Und wer sieht sich selbst aufgrund von bestimmten Eigenschaften, Zuschreibungen oder Praktiken heraus in der Lage, Unterstützung anzubieten? Es geht also auch nicht nur um die Klassifikation derer, die Unterstützung bekommen, sondern es geht auch um die Selbstklassifikation derer, die Unterstützung geben. Weil wir verstehen auch das als ein ganz wichtiges Moment der Humandifferenzierung, also die Art von vielleicht Kapazität, die dadurch zum Ausdruck kommt. Wir haben eben Macht genommen, aber man kann auch sagen, es ist eine Fähigkeit. Vielleicht kommt es aus einer Position der Ressourcenstärke. Also zum Beispiel ich habe den Eindruck, ich bin besonders gut vom Leben behandelt und will mich unbedingt kümmern, um das auszugleichen. Das ist auch typisch für Carebeziehungen. Dann geht es eventuell gar nicht so sehr um die Menschen, denen ich helfe. Und es geht ganz stark darum, eine bestimmte moralische Wahrnehmung meines Selbst dadurch auch zum Ausdruck zu bringen. Es ist auch eigentlich was ganz Typisches.

FB: Na ja, kann man sich vorstellen. Und häufig ist es ja aber auch das, dass man mal in der einen Situation Hilfe braucht, unter anderen gibt man sich also..

HD: Genau das. Dieses Überkreuzen, das finden wir eigentlich auch. Deswegen hatte ich ja am Anfang gesagt, dieses dieser Binarismus der zwischen Helfern und Hilfeempfänger aufgemacht wird, der ist nicht unbedingt produktiv für unser Projekt, sondern es geht eigentlich eher auch darum, wie Positionen gewechselt werden. Wie vielleicht derjenige, der Hilfe empfängt, demjenigen hilft, der Hilfe gibt, indem er die Hilfe annimmt, also in der moralischen Logik. Die Reziprozität des Handelns geht ja davon aus, dass eine Gabe gegeben sein kann und auch in Empfang genommen wird, bevor sie wieder zurückgegeben werden kann. Und dieses in Empfang nehmen ist ein ganz wichtiger Akt in der Frage: Wie werden Beziehungen eigentlich aufrechterhalten? Wenn ich das verweigern würde, würde ich diese ganze Beziehung, die ganze Logik, die dem zugrunde liegt, unterbrechen. Das findet man natürlich auch. Es gibt Menschen, die sagen: ich brauche keine Unterstützung, ich will das nicht. Damit verweigern sie nicht nur die Position, die ihnen zugeschrieben wird, sondern sie verweigern auch die Person, die sich dadurch in Beziehung setzen möchte und also dieses Unterbrechen von der Empfänger Position oder überhaupt der Sorge Transaktion ist eigentlich ganz wichtig, um zu verstehen, wie Ambivalenzen aufgelöst werden und wie Menschen aus einer asymmetrischen Logik rausgehen, versuchen, sich da neu zu definieren.

FB: Genau. Sie arbeiten ja zu Brasilien und Portugal. Was ist das Besondere an diesen beiden Ländern?

HD: Ja, also das werden wir uns dann eben auch genauer anschauen. Also genau wie Sie sagen, es sind zwei Teilstudien und ich bin mir sicher, dass die beiden Mitarbeiterinnen auch gerne noch mal in diesem Podcast sich präsentieren würden oder Ihrer Ergebnisse vorstellen. Die beiden arbeiten also Frau Reichl arbeitet in S ão Paulo und Curitiba in Brasilien und Elena Hernández arbeitet in Lissabon und das Besondere der beiden Kontexte ist erst mal, dass an beiden Orten mit der Verknappung von Ressourcen gerungen wird, vor allem, was erst mal den sozialen Raum betrifft oder den urbanen Raum. Das muss ich vielleicht eher so sagen. Also der Zugang zu Wohnraum und die Frage, wie Menschen in der Stadt eigentlich zusammenleben. Das sind Themen, mit denen die beiden zu tun haben, also Phänomene der innerstädtischen Verdrängung, der Verarmung, neue Formen von Obdachlosigkeit. Ehrlich gesagt, die Ähnlichkeit ist schon ein Ergebnis unserer Forschung. Die beiden sind jetzt gerade aus der aus der Feldforschung zurückgekommen, und ich muss sagen, dass ich nicht erwartet hätte, dass Portugal und gerade auch Lissabon, also der der städtische Raum der Hauptstadt, dass es dort auch so drängende Probleme gibt, vergleichbar mit Brasilien, was man ja eher mit extremen Formen von sozialer Ungleichheit assoziiert. Eben mit großen Bevölkerungsteilen, die auf der Straße leben und so weiter. Aber ich war ja auch kurz Frau Hernández besuchen in Lissabon, und das war schon sehr interessant, wie, intensiv die Armut, die städtische Armut geworden ist. Und das kann man im Grunde zeitlich auch festmachen an den Sparpolitiken ab 2008, 2009, 2010. Und das meinte ich eben, als ich gesagt habe, das sind eben jüngere Entwicklungen und dass der Staat so stark zurückgegangen ist, das will ich gar nicht verallgemeinern. In Brasilien ist es das zum Beispiel nicht. In Brasilien haben wir es generell mit diesen extremen Ungleichheiten zu tun, mit großen Bevölkerungsanteil von armen Gruppen. Aber in Portugal ist das eben eine jüngere Entwicklung, die sich zum Beispiel in..wie soll ich sagen? Also es gibt so Stadtteilräumungen, wo so eine Art Favela und das kann man schon dafür auch benutzen als Begriff.

FB: Ich habe 2011/ 2012 Erasmus gemacht in Lissabon. Mich hat das auch total schockiert, wenn ich mit dem Zug aus der Stadt rausgefahren bin, hat man diese Wellblech Siedlung ja auch gesehen und ich hätte in Europa einfach nicht damit gerechnet.

HD: Ja, ich muss sagen, ich wusste das auch in der Form nicht. Ich habe das alles eher abstrakt gewusst. Und die Art der Armut, also die Intensität der Armut, die hat mich erschüttert, vor allem aber auch hinsichtlich der der Wahrnehmung, wie der Staat eigentlich damit umgeht. Also die kriegen dann so Räumungensankündigungen auf ihre Wellblechhüttentüren geklebt und eine Woche später kommt der Bulldozer und macht die Dinger weg. Und diese ganze Frage der Verdrängung, es geht natürlich auch um das Investment. Also wie wird eigentlich im Raum kapitalistisch nutzbar gemacht? Und was passiert dann mit den Leuten, dass das eine und der ganze Kampf um ein würdiges Leben, was eben dann von Seiten der Aktivist:innen geführt wird, das ist das, womit sich dann Frau Hernández konkreter beschäftigt.

FB: Diese Aktivist:innen sind das dann häufig auch Leute, die selber auch dort wohnen, also die selber auch evakuiert werden. Oder ist das eine Mischung?

HD: Das ist ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Projekten. Also in Brasilien sind die Aktivist:innen die, die dann auch dort leben und sich in sozusagen Gemeinschaft konstituierten Interaktionen kümmern. Aber kümmern ist dann also die Sorge, ist dann eventuell zum Teil auch schon zu asymmetrisch, weil das eben sehr als solidarisch gedachte Beziehungen sind und wir gucken dann eher rein, bekommen die Asymmetrien in bestimmten Situationen und in Lissabon ist es eben anders. Da sind es tatsächlich Aktivist:innen, die dort nicht leben, die in anderen Bildungstatus haben, die organisiert sind, die sehr gut informiert sind in Bezug auf die Rechtslage und die sich dann auch sehr einsetzen für Menschen, die auf sie zukommen, weil sie eben von Wohnungslosigkeit bedroht sind und die sich dann dafür einsetzen.

FB: Das heißt, es geht ja eigentlich mehr darum, dass man auch Gemeinsamkeiten dadurch herstellen will, dass man zusammen demonstriert, als dass man sich also eigentlich eher, dass verschiedene Gruppen zusammenkommen und nicht getrennt werden oder?

HD: Und ja, genau, das ist so, also wenn wir, erst mal neutraler auf diese Praktiken schauen würden, dann sind es alles Versuche, Differenzen zu überwinden und Gemeinschaft herzustellen. Jetzt noch mal ganz kurz ein Beispiel: Was sind das eigentlich für Initiativen, in denen, die dann mitgearbeitet und mit gewohnt haben: Das sind zum Beispiel NGOs, kirchliche Gemeinden, Suppenküchen, aktivistische Hausbesetzungen, Beratungsorganisation. Da haben die beiden dann eben teilnehmend beobachtend mitgemacht und haben diese Art der, ich will nicht sagen Versuch, das klingt dann so wie es hat halt nicht gelungen, sondern das ist sind schon Prozesse der Vergemeinschaftung, die in diesen Alltagspraktiken stattfinden. Aber gleichzeitig können wir ja schon davon ausgehen, dass eben die Tatsache, dass die Menschen unterschiedlich sind und sich eben auch unterscheiden, eine anthropologische Grundkonstante ist. Wir interessieren uns eben einerseits für die Frage, wie in diesen Initiativen Kategorien zur Sprache gebracht werden, fokussiert werden, thematisiert werden, die auch ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit gerückt werden sollen, also zum Beispiel beim Kampf um Rechte, also wenn wir so was benutzen wie Obdachlosigkeit. Obdachlosigkeit ist eine ganz starke Kategorie. Es ist auch moralisch konnotiert, andere Begriffe so was wie alleinerziehende Mütter, Menschen mit niedrigem Einkommen, Asylsuchende all das sind ganz klar umrissene Kategorien. Und mit denen arbeiten auch diese Gruppen, es sind eben nicht nur Erfahrungen, sondern es sind auch Kategorien, die in institutionalisierte Formen legitimer Unterstützung eingelagert sind. Aber das, was ich besonders spannend finde, ist, dass wir eben nicht nur mit diesen Formen der humanen Differenzierung arbeiten, also diese fixierten Begriffe, die in unseren Köpfen direkt was aufrufen wie Bedürftigkeit, Unterstützung, Würdigkeit vielleicht auch, sondern es gibt eben noch andere, viel weniger konkretisierte Erscheinungsformen, die vielleicht auch den Akteurinnen, mit denen wir zusammenarbeiten, gar nicht so richtig bewusst sind. Also wir halten es eben für einen besondere, eine besondere Chance oder einen besonderen Gewinn, in diesem SFB zu arbeiten, weil eben nicht nur die benannten institutionalisierten und verrechtlichten Kategorien angeschaut werden, sondern auch schwächere Formen, die eventuell eher von einer sprachlich diffusen oder emotional affektiven Ebene festgestellt werden können. Weil dadurch, dass es in diesen Initiativen, die ich eben beschrieben habe, tatsächlich um die Herstellung von Gemeinschaftlichkeit geht, also um die Überwindung von Differenz, ist die Frage, wie Unterschiede aufrechterhalten werden oder wie mit ihnen umgegangen wird, wenn sie auftreten und man sie eigentlich gar nicht haben möchte. Dass es eben dann auch ein spannendes Moment, was auch sozusagen, womit auch die Leute zu kämpfen haben, über die wir arbeiten. Es kann natürlich auch asymmetrische Hilfe Beziehungen geben, wo das nicht nur in Frage gestellt wird, sondern wo Gemeinschaftlichkeit auch dadurch hergestellt wird, dass diese Asymmetrie aufrechterhalten wird. Da wären eben die evangelikalen Kirchen ein ganz gutes Beispiel. An das hatte Frau Reichel eben schon herausgearbeitet, dass es eventuell gar nicht so sehr um das hilfsbedürftige Gegenüber geht, sondern die Beziehung zu Gott und die die Leistung, die man erbringt, um in Gottes Augen besonders moralisch positiv da zu stehen.

FB: Aber die asymmetrische Beziehung, also wenn man selber derjenige ist, der Gott gegenüber quasi Care macht, dadurch, dass man sich um andere kümmert. Aber dann ist doch eigentlich die asymmetrische Beziehung doch immer noch so sehr, dass Gott weit über einem steht oder ist.

HD: Genau. Die Kirchen unterscheiden sich eben von diesen eher solidarisch angelegten Gemeinschaften, die ich eben genannt habe. Es geht auch bei den Kirchen um Gemeinschaftlichkeit. Aber Asymmetrie ist durchaus im Interesse der Akteur:innen. Aber es ist ein Dreiecksverhältnis sozusagen zwischen Gebern, Nehmern und ..

FB: Religion.

HD: genau, ja. Was sie eben noch sagen wollte, ist das auch in den anderen Kontexten es ja ständig um die Verteilung knapper Ressourcen geht, also so was wie Nahrung, Wohnraum, vielleicht auch Kleidung, aber auch vor allem Zeit, Aufmerksamkeit und emotionale Zuwendung. Und dann können eben andere Formen von Unterschieden mächtig werden, also zum Beispiel, wenn wir uns in einer Umverteilung Situation befinden, dann geht es eventuell nicht nur um race, class und Gender, anhand derer entschieden werden kann, wer ist denn jetzt wirklich bedürftig? Sondern es geht auch um das Zusammenspiel von anderen Kategorien, die andere Tragweite haben.

FB: Also was, was wären das für Kategorien?

HD: Also so was wie Sympathie oder dass jemand sich adäquat verhält. Also ein Beispiel wäre eine Essensausgabe, die ja auch in Deutschland seit Covid oder auch dem dem Krieg. Wir hören davon, dass die die Tafel Bewegung sehr stark unter Druck ist, weil es immer mehr Menschen gibt, die versorgt werden müssen. Also da reihen sich die Menschen ein, stehen Schlange, was ja auch irgendwie eine symbolhafte Handlung ist, sich gleich zu machen und dadurch sich auch zu unterwerfen, einer bestimmten Logik das adressiert werdens. Aber dann kommt irgendjemand, der beschwert sich darüber, dass die Nahrung nicht ganz frisch ist, das Gemüse, was er da bekommt und der gerne was besseres hätte. Und dann widerspricht er sozusagen dem Verhaltenskodex dieser Situation. Und dann gucken wir halt genauer hin, wie wird jetzt damit umgegangen? Wird das überdeckt kommunikativ, um die Gleichheit aufrechtzuerhalten. Wird das vielleicht zu anderen Situationen zur Sprache gebracht, um mit diesem Unterschied der aufgrund dieses anderen abweichenden Verhaltens spürbar wurde, um damit angemessen umzugehen? Oder ein anderes Beispiel..

FB: Würde das heißen, dass man quasi sagt: Wir haben leider nur das und stellen Sie sich wieder hin oder wäre es so? Ja, okay, wir finden da hinten noch eine Gurke, wenn Sie gerne eine hätten, oder was?

HD: Das im Grunde alles eine empirische Frage. Also wir würden uns genau angucken, wie gehen die die Helfer:innen in dem Fall damit um und was sagt das auch über deren Position aus? Also ist jetzt die Disziplinierung eher deren Interesse und die sagen „Hör mal, wenn du dich hier so anstellst, dann kannst du gerne wieder gehen. Wir haben genug Leute, die wir versorgen müssen.“ Oder ist die Aufrechterhaltung eines smoothen Durchlaufs und vor allem auch die Toleranz von dessen abweichenden Phasen? Ist das das eigentliche Interesse der des Verhaltens auf Seiten der Helfer:innen? Und genau das kann ich jetzt auch gar nicht beantworten, weil das wäre eben dann eine Frage der der empirischen Situation. Und da muss man vor allem auch gehäufte Situationen angucken, wie wird man immer wieder damit umgegangen? Aber im Grunde werden an der Stelle werden eben auch Ideale und Ideologien ausgehandelt in Bezug auf die eigene Position. Also wer will ich sein, wenn ich Unterstützung gebe? Wie möchte ich in solchen Momenten agieren, um das auszugleichen, was da stattgefunden hat? Ein anderes Beispiel wäre eben zum Beispiel wenn in in einem besetzten Haus eine Frau ankommt, die, was weiß ich, alleinerziehende Mutter ist. Und sie möchte da eine einziehen. Und sie erzählt ihre Biografie und dann ist das irgendwie alles klar. Die Frau ist eindeutig bedürftig, aber wenn das jetzt ein Vater ist und wenn der Vater sich irgendwie merkwürdig verhält und wenn er dann auch noch irgendwie besonders schick gekleidet ist, zum Beispiel in einem Anzug, dann wird's kompliziert. Und an der Stelle wird dann im Grunde deutlich, dass diese starken Kategorien in dem Fall Einkommen, Gender noch komplimentiert werden durch andere Kategorisierungen, die wesentlich softer sind, die nicht deutlich zur Sprache gebracht werden, die vielleicht eher auf so einer affektiven Ebene laufen, dass man irgendwie irritiert ist. Und das bringen die Akteur:innen dann zur Sprache oder eben auch nicht. Und genau das sind diese Irritationsmomente, die uns besonders interessieren und die dann eben eventuell auch darin münden können, dass Positionen vertauscht werden. Also ja, das ist jetzt irgendwie noch mal überlegen, ob sie dafür ein Beispiel finde.. vielleicht, dass jemand, der empfangen soll, ganz plötzlich sagt“ Hört mal, äh, ich komme hier nicht mehr hin, Ihr seid überhaupt nicht legitim. Ich habe gedacht, ihr würdet so und so machen und finde es gar nicht richtig, wie ihr das macht. Und ich komm, ich gehe jetzt zu den anderen, und das finde ich es auch.“ Ein sehr interessanter Moment, weil so eine Figur in dem Moment, die diese Position jetzt zugewiesen wurde, durch den ganzen Kontext, durch den Rahmen aufgibt und sagt „Ihr seid auch auf mich angewiesen, ihr braucht mich, auch wenn wir alle nicht mehr hier hinkommen, um Hilfe in Empfang zu nehmen, dann gibt es euch gar nicht mehr.“ Das wäre jetzt so Umkehrmoment.

FB: Aber klar, es ist so wenn keiner zur Tafel kommt, dann braucht man die Tafel nicht mehr. Genau.

HD: Und das kann nicht nur aufgrund von nicht mehr vorhandenem Bedarf, sondern es kann auch eine Protesthaltung sein.

FB: Ja, es braucht halt eine Alternative, damit man das.. Ich meine, die Tafel ist eine tolle Organisation

HD: Aber es kann natürlich tatsächlich könnte theoretisch auch sein, dass es, dass es da auch verschiedene Anbieter gibt. Und bei den Beispielen, die wir untersuchen und da gibt es tatsächlich zum Teil gerade bei humanitären Organisationen, bei denen bei der Frage, wo Wohnraum Schlafplätze angeboten werden. Da gibt es dann verschiedene, zum Beispiel kirchliche Einrichtungen, die das anbieten. Und wir gucken uns eben an, wie so große, starke und scheinbar bekannte Marker der Humandifferenzierung zusammengebracht werden Sympathie, Einschätzung der Bedürftigkeit. Vulnerabilität ist auch ein ganz wichtiges Stichwort, was eben eingebracht wird, um dann zu konkretisieren wer bekommt, wer bekommt nicht mehr.

FB: Wollen Sie vielleicht noch was sagen zu den verschiedenen Voraussetzungen für diese Differenzierung in Brasilien und in Portugal?

HD: Ja, eigentlich schon. Wobei das sind eben schon empirische Fragen und das würde ich sehr gerne den beiden Mitarbeiterinnen überlassen, dass sie auch mal herkommen und ihnen erzählen, aber vielleicht ihre Forschung ausgewertet haben. Was ich schon spannend finde ist, eben diese Zuspitzungen die ich eben schon erwähnt habe. Covid Krise gab es an beiden Orten, wir haben es an beiden Orten mit Sparpolitiken zu tun, wobei das ist in Lissabon tatsächlich noch ausgeprägter, aber der Staat ist eben an beiden Orten nicht ausreichend an der Linderung von Notlagen beteiligt. Und es gibt immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich darum kümmern und in den Hinsichten sind diese beiden Orte vergleichbar. Und was wir auch interessant finden, ist, dass es nicht immer nur darum geht, dass der Staat kompensiert werden soll sondern dass es zum Teil auch ein Zusammenspiel ist, mit dem Staat der vielleicht durch.. ja Freiwilligenarbeit wird auch legitimiert, rechtlich legitimiert, gerichtlich durch den Status, wird honoriert. Es geht nicht nur um den Staat sondern um die Gesellschaft, also wie werden solche Positionen in der Öffentlichkeit gewertschätzt und genau.

FB: Also so was wie, gibt es eine Ehrenamtskarte?

HD: Genau, das wären so Formen der Gratifikation, müssten die beiden dann erzählen. Bei dem Brasilien Projekt sind das ja Mitglieder von sozialen Bewegungen und das hat eine ganz starke identitäre Position auch die Leute die da in den Suppenküchen arbeiten, die sind eben Teil auch von einer politischen Gemeinschaft und das hat auch was.. Elena Reichl hat ja während des brasilianischen Wahlkampfes also die Präsidentschaftswahl geforscht und das hat dann auch, das ist unmittelbar gekoppelt an Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Also diese Bewegungen sortieren auch Wählerschaften, das meine ich, es gibt dann Verbindungen zwischen ganz unterschiedlichen politischen Ebenen obwohl sie erstmal in ihrem Auftreten wirken die alternativ aktivistisch, man hat den Eindruck so separiert aber so ist es eben gerade in Brasilien gar nicht sondern es sind eher so verschiedene Ebenen des politischen, die auf die Weise organisiert werden und wo eben auch wie wir im SFB sagen würden, Menschen zu Gruppen gemacht werden also „lump together“ also die werden so zusammen gebündelt durch solche Bewegungen die auch ganz stark mit symbolischen Praktiken arbeiten, mit Farben, mit Symbolen usw.

FB: Also das heißt wenn ich Lula wähle, dann geh ich in die eine Suppenküche von der aktivistischen Bewegungen vielleicht und wenn ich Bolsonaro wähle, dann geh ich vielleicht eher in die evangelikalen Suppenküche

HD: Richtig genau. So hat sich das in Brasilien sortiert. Es gibt schon überall Suppenküchen aber es sind ganz unterschiedliche Programme darübergestülpt.

FB: Cool. Wie sind sie selber zum Thema Care überhaupt gekommen?

FB: HD. Ich habe in meiner Postdoc Forschung eigentlich über Verwandtschaft gearbeitet. Über die Frage, wie sich Familien konstituieren und aufrechterhalten wenn sie über mehrere Kontinente oder Orte verteilt sind. Also es war eine Transnationale Familienforschung. Und da brauchte ich einen praxeologischen Zugang um nicht nur darüber nachzudenken wie Familien imaginär gestaltet werden, indem man einander denkt und sozusagen auch der Name existiert um das zusammenzubinden sondern um auf der Ebene von Alltagspraktiken zu verstehen, wie Menschen sich konkret einander zuwenden. Also Geld schicken, Geschenke, Anrufe, sich besuchen usw. und da ist der Care Begriff auch in seiner englischen Variante so nützlich, weil er dann eben einerseits das Praktische Tun und das imaginäre das Sich sorgen, sich Sorgen machen auch beinhaltet und das fande ich einfach sehr Anwendungsbezogen, um nicht in eurozentrischen Verwandtschaftskategorien zu arbeiten. Also nicht immer zu fragen, wo ist die Mutter, wo ist der Vater wo sind die Kinder. Sondern mehr zu fragen, wer kümmert sich um wen? Auf welcher Grundlage? Und das ist sozusagen für mich eine komplementäre Art um neben dem Haushalt, was eben auch eine wichtige Struktur ist, um zu verstehen, wie Menschen zusammenleben im sozialen Nahraum und was dann eigentlich Familie ausmacht. Weil wenn z.B. also ich habe das in Kap Verde durchgeführt, wenn in Kap Verde über Familien gesprochen wird, bedeutet dieser Familienbegriff, die Nutzen auch das Wort, portugiesisches Wort, portugiesische Kolonie. Sie benutzen dasselbe Wort aber meinen dabei was ganz anderes. Und da war dieser praxisbezogene Care Begriff eine gute Ergänzung, um weg zu kommen von Kategorien, die vorgegeben sind. In meiner eigenen Einstellung auch.

FB: Ja auch wenn sie jetzt gerade gesagt haben, wer kümmert sich um wen? Also meine Familie wohnt in Norddeutschland. Das heißt wenn ich im Alltag spontan Unterstützung brauche, bei wer kümmert sich. Oder wenn ich ein bisschen einsam bin, ich denke da an Freunde auch viel

HD: Genau an der Stelle ist das nützlich, um genauer hinzugucken. Da gibt es auch übrigens so Methodenwerkzeuge, dass man fragt : Bei wem leihst du Geld? Bei wem heulst du dich aus? Mit wem gehst du ins Kino? Das sind ganz unterschiedliche Dimensionen.

FB: 3 unterschiedliche Leute

FB: HD. Ja das ist auch gut so, um das abzugleichen mit den eigenen normativen Vorrannahmen. Und manchmal ist es auch auf eine gesunde Art irritierend, zu hören was die Leute dann sagen. Also wo findet dann eigentlich konkret Familie statt, wenn es dann anders stattfindet als in unseren Köpfen

FB: Whatsappgruppe

HD: ja genau zum Beispiel. Auch ein Ort des Struggles in vielen Familien.

FB: Ich hab so den Eindruck, dass es mehr Freiwillige Frauen in so sozialen Projekten gibt?

HD: Das ist ein spannender Punkt in Bezug auf das, was wir eben besprochen haben. In Bezug auf die Frage: Mutterrolle, Legitimität von negativen Bewertungen weil im Grunde das bringt uns zurück zu unserem Projekt. In der Freiwilligenarbeit auch häufig so eine Kompensation stattfindet. Z.B. es gibt eine ganz spannende Arbeit in Finnland wo gezeigt wird, dass gerade Frauen, die eben keinen legitimen Grundlage in der Familie mehr haben, weil alle sind emanzipiert, niemand braucht mehr niemanden, und es gibt einen starken Staat und so weiter. Also die dann eben über solche Freiwilligentätigkeiten sich auf eine bestimmte Art in Beziehung setzen zum Teil auch über Landesgrenzen hinweg oder nach Afrika. Aber das bringt ganz viel Inhalt in ihre Rolle, die auch geleert wurde, dadurch dass es eben eine Infragestellung gegeben hat. Diese scheinbar weiblich aufgeladenen Positionen und die finden dann andere Tätigkeiten. Vor allem in solchem Engagement. Und das finden wir auch wieder in den beiden Projekten, die sind sehr stark Frauen dominiert. Also Frauen konkretisieren sich sozusagen über Care Arbeit, die eben nicht unbedingt nur außerhalb stattfinden muss sondern auch an anderen Orten. Aber die Probleme sind nicht unbedingt kleiner.

FB: Gibt es da auch Unterschiede zwischen der Nahrungshilfe in Brasilien, wo ich mir das vorstelle, wer hat denn überhaupt die Fähigkeit zu kochen, das sind ja vielleicht auch eher Frauen als Männern denen das beigebracht wird oder der aktivistischen Arbeit in Portugal? Wo ich mir das vorstellen könnte, dass es eben nicht ganz so Frauen dominiert wird oder?

HD: Da würde ich wieder lieber an die beiden Mitarbeiter:innen abgeben. Aber das brasilianische Projekt ist auch Aktivistisch, Das sind auch Aktivist: innen die da arbeiten. Das sind nur eine andere Art von, sozusagen mehr shared economony. Und in Portugal ist es eher eine Beratungsleistung. Also das, was ich von beiden Projekten mitgekommen habe ist, dass das fast alles Frauen sind die da providen/geben. Aber die Nutznießer davon das müsste man sich nochmal genauer angucken. Wie das gegendert ist. Aber wie gesagt, die beiden sollen auch mal hier auflaufen.

FB: Ich nehme sie auf die Liste.

FB: HD. Sehr gut.

FB: Vielen Dank fürs einschalten. Falls ihr das noch nicht gemacht habt, vergesst nicht den Podcast zu abonnieren. Nächsten Monat probieren wir mal etwas neues aus. Und haben statt einen gleich drei Gäste. Die Amerikanistin Mita Banerjee, der Historiker Gregor Feindt und der Theaterwissenschaftler Benjamin Wihstutz.

FB: Es erwartet euch also nicht das übliche Interview sondern ein Gespräch, aus denen aus verschiedene Perspektiven zum Thema Leistung diskutiert wird.

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