Arabisch/Ukrainisch: Welche Rolle spielt Sprache bei der Aufnahme Geflüchteter?

Shownotes

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Wie fanden zu Beginn des Kriegs in der Ukraine Geflohene und Helfer:innen zueinander? Wer spricht wen in welcher Sprache an? Um unter anderem dies herauszufinden, hat Kaiko im Berliner Hauptbahnhof und einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete die Beschilderung untersucht. In dieser Folge erzählt Kaiko von ihrer Forschung, davon, wie wir entscheiden, in welcher Sprache wir einander ansprechen und warum wir an der Sprache allein nicht prüfen können, woher jemand kommt. Kaiko Lenhard ist Translationswissenschaftlerin und seit 23 Jahren Übersetzerin zwischen Deutsch und Englisch. Sie promoviert im Teilprojekt „Sortieren und Übersetzen. Sprachbezogene Humandifferenzierung im Kontext von Flucht und Migration“. Der Arbeitstitel ihrer Doktorarbeit lautet: “Situative sprachbezogene Humankategorisierung und ihre Relevanz für die Aktivierung individueller Sprachrepertoires.“

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Host: Friederike Brinker Producer: Marco Mazur Studentische Hilfskraft: Julia Wollmann

Der SFB 1482 Humandifferenzierung ist an der Johannes Gutenberg-Universität und dem Institut für Europäische Geschichte in Mainz angesiedelt.

Für Feedback, Fragen und Vorschläge schreibt mir gern eine Mail: sfb1482.kommunikation@uni-mainz.de Foto: Stephanie Füssenich

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Schlägt Jack Wolfskin Jacke den Campus in Spanien?

Hallo, willkommen zum Podcast Sone/Solche. Wir sind das Podcastteam Friederike Brinker, Julia Wollmann und Marco Mazur.

Wie unterscheiden wir, in welcher Sprache wir einander ansprechen und warum können wir an der Sprache allein nicht prüfen, woher jemand kommt? Wie fanden zu Beginn des Krieges in der Ukraine Geflohene und Helfer:innen zueinander?

Um unter anderem dies herauszufinden, hat Kaiko in Berliner Hauptbahnhof und einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete die Beschilderung untersucht.

Kaiko Lenhard ist seit 23 Jahren Übersetzerin für Deutsch und Englisch und promoviert in den Translationswissenschaften. Den Titel ihrer Arbeit wird sie uns gleich verraten.

(Intro) KL: Also wir untersuchen nicht nur Übersetzungen, das wird oft als Schriftliches verstanden, sondern Translationsprozesse im Allgemeinen. Dieser Austausch zwischen Sprachen, Kulturen und, insbesondere im Projekt, die sprachlichen Zuordnungen zu Menschen oder von Menschen zu Sprachen und den Impact, den das hat und die Prozesse dort.

Also der Arbeitstitel meiner Promotionsarbeit, ist “Situativität sprachbezogener Humankategorisierung und ihre Relevanz für die Aktivierung individueller Sprachrepertoires”.

Welche Faktoren beeinflussen unter welchen Umständen die Zuordnung von Sprachen zu Menschen? Also, das ist diese sprachbezogene Humankategorisierung. Und dann: Wie beeinflussen diese Zuschreibungen und Faktoren unter welchen Umständen die Zuschreibung von Sprachen zu Menschen?

Du hast eben nicht ein Schild, an dem steht, „spricht ein bisschen Friesisch und sehr viel Standarddeutsch und auch noch Englisch, wenn es sein muss“. Sondern ich muss aus dem Kontext, aus den Signalen, die ich von dir erhalte, der Art, wie du dein Haar trägst, vielleicht deine Kleidung, dein Alter, deine Hautfarbe darauf schließen: Welche Sprachen wird sie wahrscheinlich sprechen, was gebietet die Situation, in der wir gerade sind? Bin ich auf dem Amt? Und ich weiß irgendwie: Die haben Regeln, dass sie Deutsch sprechen müssen, aber sie gehen teilweise kreativ damit um. Sind wir gerade in einer Situation, wo ich davon ausgehe, du bist hier auch im Ausland für dich? Und dann wähle ich sozusagen. Ich mache eine Einschätzung über deine Sprachen und dann einen Abgleich mit meinem eigenen Repertoire. Und dann wähle ich eins aus, um dich anzusprechen.

FB: Also du könntest zum Beispiel auch sagen okay, sie ist Mitte 30 und ist hier an der Uni. Die Chancen, dass sie Englisch spricht, sind relativ gut. Wenn du jetzt kein Deutsch könntest, könntest du das einfach auf gut Glück probieren. Und wenn du mich dann quasi irgendwie im Wald treffen würdest, wären die Chancen quasi weniger gut, dass ich Englisch spreche oder?

KL: So was. Ja. Also diese Altersdifferenzierung passiert oft sozusagen als Erfahrungswert, das Deutsche in einem bestimmten Alter sehr ungern Englisch sprechen werden und dass deswegen das Ergebnis einer Ansprache auf Englisch nicht so gut auslaufen wird.

FB: Also das wären dann quasi die sehr Alten, würde ich mal denken und wahrscheinlich die sehr Jungen?

Dem Erfahrungswert /Klischee nach sind es die mittleren Alters, die es besonders ungern haben. Also das Klischee geht so: Die Jungen, die sprechen sehr gut Englisch, die mittleren okay, aber sie wollen es nicht und sind sehr ungeduldig, weil sie zu tun haben. Und die Älteren haben Geduld. Ihr Englisch ist vielleicht nicht so gut, aber sie haben Geduld.

FB: Sie sind in Rente. Sie haben die Zeit.

KL: Genau, sich auch eventuell auf das auf das A2 oder A1 Niveau von Ihrem Gegenüber einzulassen. Aber ja, de facto gibt es Abweichungen und das wäre der zweite Teil:

Wie beeinflussen die Zuschreibungen die Wahl eines bestimmten Auschnitts aus dem persönlichen Sprachrepertoir. Ich habe es gerade erläutert, wie kam es dazu, dass ich dann aus meinem eins aussuche, also dein Englisch, mein Deutsch, welches nehme ich jetzt? Und dann eins auswähle. Und zuletzt, und das ist die Frage, mit der sich meine Arbeit beschäftigt: Interagieren diese Faktoren und wenn ja, wie? Also schlägt die Jack Wolfskin Jacke den Uni Campus in Spanien oder so? Interferieren die Signale miteinander und wenn ja, wie und welche?

FB: Das heißt, die Jack Wolfskin Jacke ist einfach was extrem deutsches, oder?

KL: Ja.

FB: Okay, was ist mit Sprachrepertoires genau gemeint? Also sind es nur Fremdsprachen? Oder ist es auch zum Beispiel so was wie Ich spreche jetzt zum Beispiel mit meinen Neffen anders als mit meinen Chefs.

KL: Also sprachliches Repertoire wäre die Gesamtheit aller Sprachen, Varietäten, Register, die du zur Verfügung hast. Es kann auch einen Unterschied machen, ob du jemanden jetzt duzt oder siezt. Je nachdem, wen du ansprichst, kann das eine oder andere sehr schlecht aufgefasst werden, also in beide Richtungen. Und diese Auswahl ist auch so eine. Mit deinem Neffen so zu sprechen wie mit Kollegen in der Fachtagungen - Schwierig. Umgekehrt vielleicht auch.

FB: Ist wahrscheinlich noch schwieriger.

KL: Und diese Entscheidungen, die trifft man halt ständig. sie gefasst zu kriegen, das ist das Schwierige daran.

FB: Okay, und welches würdest du sagen, sind die Faktoren, die da am wichtigsten sind?

KL: Am wichtigsten? Das könnte ich nicht sagen. Also ich kann sagen, was in unseren Kontexten so passiert da ist, da geht es eher um die Wahrnehmungsreihenfolge.

Also man wird also wenn zum Beispiel jemand in eine Aufnahmeeinrichtung geht, dann sind sie sichtbar, bevor sie sprechen. Das heißt, man wird vielleicht sehen, sie trägt ein Kopftuch und damit wird schon ein Zuschnitt gemacht auf mögliche Sprachen, wahrscheinliche Sprachen oder so, der sich dann im nächsten Schritt - spricht an, zeigt den Pass oder so - dann entweder bestätigt oder korrigiert.

Und so läuft es dann die Stufen durch. Es gibt die die Selbstauskunft, die in manchen Fällen völlig ausreichend ist. Du sagst, du sprichst deutsch, ich spreche mit dir Deutsch. Das wird aber teilweise auch hinterfragt.

FB: Ah ja, ja, also wenn ich dir sage, ich spreche Deutsch und du sagst, das kann nicht sein, das Deutsch ist so schlecht?

KL: In unserem Kontext der Fluchtmigration wird die Sprache manchmal zur Bestimmung oder zur Plausibilitätsprüfung herangezogen. Also kommst du plausibel daher, wo du sagst, dass du herkommst. Diese Aufgabe wird in den Organisationen, in denen wir waren, nicht vollzogen. Das ist etwas, was seitens des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) untersucht wird, nach unseren Informationen, aber stattfindet. Es ist es ist eine der Sachen, die herangezogen wird. Und da gibt es dann dieses Thema: Gibt es einen sprachlichen Fingerabdruck?

Spoiler: Es gibt ihn nicht. Also so was ist es sehr variabel. Also je nachdem wo man wohnt, nimmt man halt immer ein bisschen mit. Und gerade in solchen Fällen, wo es eine längere Fluchtgeschichte gibt, dann hat man Jahre in unterschiedlichen Ländern gewohnt und dann zu sagen „Ja, der Akzent stimmt, aber für deinen dein angegebenes Herkunftsland nicht“ ist problematisch. Um es milde auszudrücken.

FB: Welche Hinweise gibt es also jetzt zum Beispiel an dem Bahnhof? Du warst ja in Berlin, als der Ukrainekrieg begonnen hatte. Ist das eigentlich das richtige Wort Ukrainekrieg?

KL: Das kommt echt drauf an. Ich würde selber sagen: Krieg in der Ukraine.

FB: Also du warst ja in Berlin, als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist. Und wie ist es da am Bahnhof? Wie erkennt man da, wer aus der Ukraine kommt? Und wie erkennen auch die Geflüchteten wer von den Helfenden? Mit wem kann ich sprechen? Wer spricht Ukrainisch? Wer spricht russisch, wer spricht Englisch?

KL: Also wir waren das erste Mal da, das war ein Monat danach. Das war schon nicht mehr diese unglaublich turbulente Phase direkt am Anfang.

Und das lief so damals waren noch so viele Leute unterwegs, dass es über eine Selbstmarkierung von den Helfern ging. Also man hatte Westen an in zwei Grundfarben. Orange hieß ich spreche Ukrainisch und oder Russisch und das andere auch. Und gelb war ich spreche Englisch und gegebenenfalls Deutsch usw. Und dann lief das einfach so man hat die Westen gehabt und am Bahnhof waren Schilder, auf denen standen Hinweise, dass die freiwilligen Helfenden Westen tragen mit diesen Farben. Und die Farbe bedeutet das. Es gab sozusagen eine lebende Legende und dann auch noch Klebeband mit dem Namen, mit dem man angesprochen werden möchte und die Sprachen dann einzeln aufgelistet. So zwei Buchstabencodes.

FB: Und du hast dann da auch mitgearbeitet, oder?

KL: Ich habe ein bisschen dort mitgeholfen. Ja, das war so, dass man sich zum Helfen registrieren konnte und wir waren eigentlich dort, um die Beschilderung zu kartieren. Das heißt, dass diese Schrift in der Umgebung, die Linguistic Landscape, hat auch einen Impact, so die Annahme. Hat es einen Impact auf die Sprachen, die man anwendet?

Also, wenn ich irgendwo bin und die Beschilderung ist nur deutschsprachig oder überhaupt nur einsprachig, dann mache ich andere Annahmen über die Sprachen, mit denen ich kommunizieren kann in diesem Raum, als wenn sie mehrsprachig angeboten werden. Und Flughäfen und Bahnhöfe sind so ein typischer Transitraum, in denen von einer größeren Internationalität und Mehrsprachigkeit ausgegangen wird. Und die Beschilderung, die gibt es auch wieder.

Ja, ich merke es in der Regel nicht mehr, weil ich selber Englisch und Deutsch ziemlich austauschbar spreche. Deswegen bin ich mir sehr selten bewusst, dass das ganze zweimal dasteht, sozusagen einmal so, wie ich es lese und einmal noch mal und drunter schräg gedruckt. Aber wann immer ich mich in einem anderen Land bewege, dann bin ich auf einmal darauf angewiesen, auf diese 60-prozentige Information auf Englisch, weil ich größere Probleme mit der Hauptbeschilderung habe.

Auf jeden Fall waren wir dort, um die Beschilderung zu untersuchen, weil wir den Hinweis von Bekannten aus Berlin hatten, dass viel temporäre Beschilderung da war. Zusätzlich zu den Leitschildern, die sagen, „hier geht es zu Gleis eins, Reisezentrum hier, Gepäck dort“. Das ist überhaupt nicht hilfreich, wenn du irgendwo ankommst und du sprichst weder Englisch noch Deutsch.

Und dann waren von Freiwilligen erst mal Schilder angebracht worden, So A4 ausgedruckt irgendwo, die einfach gesagt haben „Toilet“ in kyrillischen Buchstaben, auf gelbem Hintergrund. Oder Hinweise, welche Services wo zu finden waren. Und die waren dann ziemlich früh dreisprachig. Da stand es, ich glaube auf Englisch, Ukrainisch und möglicherweise Deutsch, dass zum Beispiel „Hier gibt es Wasser“ oder „für Haustiere Sachen“. Die kamen so nach und nach.

Die ersten Sachen waren halt nur so ein aufgeklebtes Schild, dann ein Schild in der Klarsichtfolie, eins das richtig mit Panzerband abgeklebt war. Und als wir da waren, waren schon die ersten Schilder, die gebrandet waren, das waren offizielle, die laminiert waren. Ich weiß nicht wie man es nennen würde.

FB: So dass da noch ein DB Logo draufstand?

KL: DB und Stadt Berlin stand drauf. Teilweise gab es Lagepläne, also diesen Lageplan, den man sieht, wo „Hier geht es zu Gleis acht“ oder in einem Einkaufsbahnhof: „Hier ist die Gastro und hier sind die Klamottengeschäfte“ und so dieses selbe Planmaterial, also das grundlegende Gerüst wurde umgewandelt und war dann gelb mit blauem Druck. Noch mal mit den Punkten, die für Flüchtende aus der Ukraine besonders interessant werden.

Ich sag jetzt die ganze Zeit „aus der Ukraine“. Es waren ja nicht nur und sind ja nicht nur Geflüchtete aus der Ukraine und das ist halt auch relativ früh gekommen. Dann hat man so eine Konzentration gehabt, dass also, kennst du den Hauptbahnhof?

FB: In Berlin? Ja, ich habe mich da schon öfter mal verlaufen.

KL: Bis heute, wenn ich im UG bin, weiß ich nicht wirklich, wo ich stehe. Aber es gab dann so einen, also dorthin, wo die Hilfsangebote waren, war eine ziemlich dichte Beschilderung in unterschiedlichen Sprachen. Zentral auch eins, dass auch relativ früh ist, dann zusätzlich zu dem Deutsch - Englisch, Russisch - Ukrainisch, Ukrainisch - Russisch. So ist noch sind noch Französisch und Arabisch aufgetaucht. Aber ganz am Ende, weit entfernt von allem Fußgängerverkehr und so war nur ein Aufsteller mit einer ukrainischen Flagge drauf. Das Schriftmaterial war nicht gleichmäßig verteilt, sondern in Richtung der Hilfsangebote konzentriert.

FB: Und ansonsten folgt man einfach dem Pfeil und der bringt einen dann schon dahin, wo man muss.

KL: Und das hat sich dann etwas verschoben. Ich bin dann im Sommer und im Winter noch mal hin, um noch mal nach den Schildern zu gucken. Die Hilfsangebote sind ins Zelt gewandert und entsprechend ist die Beschilderung auch und sie hat sich auch konzentriert und verstetigt.

Also die die informellen Schilder waren weg, und die Schrift hatte sich verstetigt. Also ich weiß nicht, ob du jemals arabische Schrift ausgedruckt oder am Bildschirm gesehen hast? Sie hat so eine Eigenart, dass sie in Schriftgröße zwölf viel kleiner wirkt. Ja, und dann ist sie auch noch von rechts nach links geschrieben.

Und dann sah das typografisch auf diesen Schildern ganz eigenartig aus. Also man hat das fett gedruckte Ukrainische, darunter das dünn gedruckte Russische, dann Englisch, Französisch und dann unten rechts schräg, ganz dünn wirkend arabisch. Und die Layouter werden sich dabei vermutlich nichts gedacht haben. Es ist ja sozusagen das eine linksbündig, das andere rechtsbündig und die gleiche Schriftgröße. Aber es hat ganz segregiert gewirkt. Ja, und die neueren Schilder, die haben eine andere Wirkung. Also ist es, es ist reingeholt worden und größer, sodass die Schriftart jetzt ähnlich groß wirkt. Ja, und das war das andere. Es hat sich also die das sprachliche, das nicht deutschsprachige Angebot hat sich konzentriert auf die Mitte, aufs Mitte-Erdgeschoss, quasi und sprachlich vereinheitlicht.

Das heißt es waren am Ende nur noch ganz wenige Schilder da und diese waren einheitlich fünf-sprachig.

FB: Fünf Sprachen, das ist ja schon mal ganz ordentlich.

KL: Ja, und auf jeden Fall diese sichtbare Mehrsprachigkeit hat halt eine Auswirkung darauf, von welchen Sprachmöglichkeiten ich ausgehe. Den Nachweis darüber muss ich noch bringen, aber das ist so ein erster Eindruck.

FB: Wie ist es denn eigentlich in den auch in den Unterkünften, wo du warst? Also da wird ja viel auch übersetzt von Leuten, die selber geflüchtet sind, was ich, wo ich mich dann manchmal frage, wie das mit Dingen wie Datenschutz und so ist, wenn das nicht professionelle Übersetzer machen ist. Wird da auch ab einem gewissen Level oder einer gewissen Vertraulichkeit von Daten dann jemand dazugeholt oder ist das relativ weit nach oben?

Also ich weiß nicht, wie ich das sage, also genau, ab wann wird denn da überhaupt so ein Übersetzer dazugeholt? Ein professioneller?

KL: Ab wann wird ein professioneller Übersetzer dazugeholt? Also je komplexer die Situation ist, also von dem, was wir beobachten konnten, ist es so, dass jede Unterorganisation innerhalb so einer Aufnahmeeinrichtung eine eigene Logik hat. Und das ist auch von Ort zu Ort unterschiedlich.

Aber um an dem Beispiel von der Erstaufnahmeeinrichtung zu bleiben in vielen Bereichen, wo es nur ganz kurze Interaktionen gibt, verlassen sie sich drauf, dass die Sicherheitskräfte mehrsprachig sind. Sie werden auch bewusst so eingestellt, dass sie ein möglichst breites sprachliches Repertoire abdecken und man dann, wenn es irgendwo knirscht, jemanden schnell und flexibel dazu rufen kann. Dann gibt es Sachen wie einfache Datenaufnahme. In der Regel hat jemand ein Ausweisdokument oder so dabei und das wird in ein Formular eingetragen und dann kann es dabei zu Rückfragen kommen. Also wenn jemand meinen Pass vorliegen hat und da steht Geburtsort, bei mir steht aktuell nicht mehr der Geburtsort, sondern der Bundesstaat, in dem ich geboren wurde. Und das führt dann zu leichten Irritationen, weil ich werde gefragt „Was ist dein Geburtsort?“ Ich sag „Honolulu“. Und die gucken dann ganz kritisch. „Hier steht Hawaii“. Ja, und dann das irgendwie auf Passung zu bringen, das sind Rückfragen. Für solche Sachen wird dann entweder Personal eingesetzt, das da ist, oder Leute, die dort selber wohnen, also einen kurzen Aufenthalt haben, aber ein passendes sprachliches Repertoire haben, dass sie für solche Sachen als Dolmetscher eingesetzt werden.

Genau das läuft dann über 1€ Jobs, also quasi ehrenamtlich. Und ja, bei der Registrierung, so komplexere Sachen, ein mehrstufiges Beratungsgespräch in der sozialen Verfahrensberatung, da haben sie ziemlich schnell davon Abstand genommen, die Sicherheitskräfte einzusetzen. Weil es ist einfach für zu viele Leute zu problematisch, weil sie oft eine sehr ungute Behandlung durch Sicherheitskräfte erlebt haben und dass dann keine vertrauensvolle, sichere Atmosphäre für sie ist, wenn jemand in Sicherheitmontur und Schutzweste und so weiter dolmetscht. Es hängt dann nicht mit der Person zusammen, aber es ist einfach, die Rolle ist zu sichtbar und zu stark. Und was für kurze Interaktionen gut funktioniert, ist für lange nicht wirklich geeignet. Das heißt die, sie sind mal kurz von ihrer eigentlichen Einsatzstelle weg, um in zwei drei Minuten oder auch nur fünf oder zehn etwas zu klären- Kein Problem. Mehrere Stunden, dann hakelt es dort im Dienstplan. Das heißt, Sie arbeiten dann mit Dolmetscherpools in diesem Bereich und beim BAMF gibt es Vorschriften auf der Bundesebene, wer da zum Einsatz kommen kann. Und da gibt ganz strenge Sprachrequierments. Also tatsächlich je formeller und in der Tendenz, je folgenreicher das Gespräch, desto mehr wird drauf geachtet.

FB: Also, du hast ja am Bahnhof dieses Linguistical Landscaping gemacht. Welche Methoden hast du in den Erstaufnahmeeinrichtungen benutzt?

KL: Da auch! Wir hatten auch die Gelegenheit dort die die Beschilderung zu fotografieren. Das überlagert sich dort etwas. Also weil es teilweise ehemalige Kasernen oder Housing Areas sind und dann hat man teilweise noch die Beschilderung von der Vornutzung, teilweise mehrere Vornutzungen und dann die aktuelle, die sich dann auch etwas sich verändert, je nachdem welche Sprache gerade stark im Bedarf ist.

Und wir haben auch Beobachtungen machen können. Eins der Instrumente ist Teilnehmende Beobachtung oder im Fall von den Aufnahmeeinrichtungen einfach nur Beobachtungen. Das heißt wir dürfen uns in die Ecke setzen und die Abläufe beobachten.

FB: Und wie wertest du das aus, gerade dieses linguistic landscaping? Was machst du mit den Daten?

KL: Das nehme ich derzeit als einen Faktor rein, also dass die sichtbare Sprache in der Umgebung diese Verschriftlichung in der Umgebung ein möglicher Faktor für diese Auswahl aus dem sprachlichen Repertoire ist.

FB: Okay. Hast du schon ein Fazit oder so was, wo du von ausgehst, dass es das Ergebnis sein wird, oder.

KL: Nein. Ich habe viele Beobachtungen, viel Material und muss das jetzt erfassen. Also meine Diss(ertation) läuft jetzt schon 18 Monate. Ich habe im Juni 21 angefangen mit dem Launch des SFBs.

FB: Wie lange forscht du jeweils vor Ort, Also am Bahnhof zum Beispiel. Wie lange warst du da?

KL: Es braucht insgesamt zwei Tage, um es durch zu kartieren, wenn man es methodisch macht. Es gibt so viele Beschilderung am Bahnhof. Man könnte da eigene Studien draus machen, in anderen Bereichen. Aber überall zu gucken, wo sind Schilder, die diesen temporären, mehrsprachigen Charakter haben und da ist dann jedes Gleis teilweise in beide Richtungen. Ich habe am Ende eine Technik entwickelt, dass ich jedes Gleis nur einmal ablaufen muss, weil ich im Zickzack laufe. Aber jedes Gleis abzulaufen und dann ein angemessenes Foto von jeder Beschilderung zu machen, die man findet, teilweise Kontextfotos, jede Ebene abzulaufen und dann auch noch sensibel zu fotografieren. Wenn gerade viele Leute vorm Reisezentrum sind, dann stelle ich mich nicht hin und fotografier jetzt das Reisezentrum und die Leute davor. Dann kommt man halt zu einem anderen Zeitpunkt wieder. Bei der Aufnahmeeinrichtung hatten wir einmal zwei Tage dort als ersten Start um alles kennenzulernen und viele im Vorfeld arrangierte Gespräche.

Und dann hatten wir kurzfristig die Möglichkeit, eine ganze Woche da zu sein. Ja, das war richtig cool, weil wir mehr von denen. Also erstens kannten wir es schon, wir haben mehr von den Alltagsrhythmen mitbekommen und wir hatten dann auch im Laufe der Woche Zugang zu fast jeder Organisation bekommen. Weil ich vermute, es hat sich rumgesprochen, dass wir nicht beißen und nur komische sprachbezogene Fragen stellen und nicht hier irgendwie ein Audit sind oder so irgendwas.

Das heißt, wir hatten die Möglichkeit, einfach ins Gespräch zu kommen und dann „können wir mal vorbeikommen und mit euch über XY reden“. Oder „könnten wir mal bei euch drinnen die Schilder fotografieren?“ Sie finden es aus dem Stand immer ganz sonderbar, dass wir so Interesse an den Schildern haben. Ja, das ist im Vergleich zu dem, was unsere Ethnografen machen, ist es sehr, sehr kurz. Also das sind mitunter halbes Jahr und mehr im Feld und kommen dann auf eine ganz andere Art richtig rein. Aber im Vergleich zu einem halben Tag ist eine Woche fantastisch.

FB: Wie viele Organisationen sind an so einer Erstaufnahmeeinrichtung?

KL: Aus dem Stand so acht. Also, das war nicht meine erste Auffassung. Vor meinem ersten Besuch dachte ich, dass das eine Einrichtung ist, in der das alles gemanaged wird. Aber die einzelnen Pakete werden ausgeschrieben, das heißt, es gibt dieses Regierungspräsidium vor Ort, das ist auch für die Koordination und die Registrierung zuständig. Dann gibt es die Sicherheitsfirma. Es gibt eine Firma, die den Alltag organisiert und für die Unterkunft zuständig ist. Es gibt eine, die die Verpflegung macht. Es gibt eine, die für Kinderbetreuung Angebote macht und Gesundheit. Und dann noch das BAMF selbst. Und die Polizei ist auch vor Ort, hat so ein kleines Büro, da ist dann zu normalen Zeiten jemand da und solche Sachen.

FB: Ich habe es mir irgendwie wie das Studentenwohnheim von früher vorgestellt

KL: Jede Organisation hat ihre eigene Sprach- und Übersetzungslogik, also welche Schilder übersetzt werden und wie. Und es ist auch ein Unterschied, ob es jetzt Customer-facing ist oder nicht. Im hinteren Bereich ist sind die Schilder einsprachig oft und im vorderen mehrsprachig.

FB: Mich würde auch interessieren, wie du die Humandifferenzierung oder die Theorien der Humandifferenzierung benutzt, in deiner Arbeit.

KL: Bislang ist es Beobachtung von existierender Humandifferenzierung, also diese Kategorisierungen, die so ablaufen. Okay, du bist Mitte 30, du trägst einen Strickpulli, du hast die Haare auf eine gewisse Art und Weise. Du lächelst mich an. Wie spreche ich dich jetzt an? Das sind alles lauter Kategorisierungessachen, die im Vorfeld ablaufen, wahnsinnig schnell ablaufen und ja, ich würde sagen, ich untersuche das auf der Prozessebene. Also nachzuvollziehen, welche Kategorisierungen werden dort gemacht? Und wie beeinflussen sie sich, wie interferieren sie miteinander? Wenn sich im Nachgang ergibt, das ja.

FB: Ja, mich würde auch interessieren, weil das Thema Flucht ist ja gesellschaftlich auch sehr im Fokus. Gibt es da irgendwelche Vorurteile oder so? Die dir begegnen oder mit denen du vielleicht noch aufräumen möchtest?

KL: Also Annahmen zum sprachlichen Repertoire. Eins, was auf den Ämtern relativ häufig passiert ist, dass sie merken, jemand spricht nicht ausreichend Deutsch für die Interaktion und dann zu Englisch wechseln. Die Grundannahme, dass Englisch als Lingua franca (=Verkehrssprache) tauglich sein wird, ist relativ weit verbreitet  in der Praxis. Aber wenn diese Person eben auch nicht Englisch spricht, dann kommt man damit nicht weiter.

FB: Ja, also eine Person, die vielleicht irgendwie schon ein paar Monate in Deutschland ist, sich ein bisschen Deutsch angeeignet hat, aber Englisch war nie Thema.

KL: Genau. Also ja, das ist aber irgendwie in beide Richtungen. Also ich müsste sagen, Englisch ist viel weiter verbreitet als ich angenommen hätte und aber deutlich weniger universell als manche annehmen. Mich hat überrascht, in wie vielen Kontexten zum Englischen gegriffen wird. Ja, aber es ist eben nicht so, dass alle Englisch sprechen und man sich das Ganze einfach sparen kann. Es hat sehr schnell Grenzen.

FB: Aber ist es so, dass alle, die quasi eine gewisse Schulbildung erreicht haben, Englisch sprechen?

KL: Häufig, das ist je nach Land unterschiedlich, also in Syrien ist es glaube ich bis heute so, dass man die Wahl für die zweite Fremdsprache hat. Die erste zusätzliche Sprache ist Standardarabisch und dann kommt entweder Englisch oder Französisch dazu.

Das habe ich von mehreren Stellen gehört. Und Englisch ist bei weitem die beliebtere im Paar. Und deswegen hat, wer die Mittelstufe abgeschlossen hat, dann ein paar Jahre Englisch gehabt. Wie oft das im Alltag angewendet wird, das sieht man auch. Also wie weit das auseinander gehen kann, merkt man auch in Deutschland. Ja, aber je nachdem wie, das geht dann zurück auf die Sprachpolitik in den jeweiligen Ländern, was da favorisiert wird.

FB: Ja okay, dann würde ich am Ende noch fragen, wenn du nicht Translationswissenschaften machen würdest, was würdest du dann machen?

KL: Was würde ich dann machen? Ich hab bevor ich mich dafür entschieden habe, die Promotion zu machen, mit dem Gedanken gespielt, einen weiteren grundständigen Studiengang anzufangen, also andere Sprachen zu lernen. Es kam nicht so weit, dass ich das Studienbüro angesprochen habe, aber ich habe keinen Bachelor in Translation und habe mit dem Gedanken gespielt, mich in Russisch und Arabisch einzuschreiben. Und dann kam es ganz anders. Also ich arbeite, wie gesagt, schon seit 23 Jahren als Übersetzerin. Das heißt, diese Sachen, die ich an der Universität mache, das ist so Weiterbildung, weiterlernen, neue Sachen erfahren. Und da gibt es einige Kontexte, die mich interessieren. Aber das war das Letzte, was so, so drauf war.

FB: Hat deine Erfahrung als Übersetzerin eigentlich auch bei der Forschung geholfen?

Bei der Forschung in unserem Bereich? Ich würde mal sagen nein. Also die Texte, mit denen ich als Übersetzerin zu tun habe, sind verschriftlicht und sie kommen aus einem ganz anderen Bereich. Sie haben ganz andere Bedürfnisse. Also das sind in der Regel Öffentlichkeitsarbeit, Pressetexte oder Fachartikel, auch wissenschaftliche. Und das hat einen ganz anderen Bedarf als eine mündliche oder eine mündlich mit schriftlichen Hilfsmitteln Dolmetschsituation. Und die Sachen in Sachen Linguistik Landscape habe ich auch erst in unserem Masterstudiengang gelernt.

FB: Vielen Dank fürs Zuhören! In der nächsten Folge sprechen wir mit Felicitas Flade. Sie ist Sozialpsychologin und wird mit uns über den Einfluss eines gemeinsamen Feindes sprechen. Wie kann ein gemeinsamer Feind zwei Gruppen zusammenbringen und wie ging sie bei Ihrer Forschung vor? All das und mehr erfahrt ihr in der nächsten Folge.

Mehr über uns erfahrt ihr zum Beispiel über unsere Social Media Accounts. Und auch wir möchten natürlich gerne mehr über euch erfahren. Schreibt uns gerne eine Email, wie es euch gefallen hat oder was ihr gerne noch gewusst hättet. Alle Infos dafür findet ihr in den Shownotes. Dann bis nächstes Mal.

Ciao

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