Staging Differences: Experimentelles Theater, Cross-Casting und die Wagnerfestspiele

Shownotes

In dem Theaterstück „Enjoy Racism“ wird das Publikum nach Augenfarbe getrennt – die blauäugigen dürfen der Performance der Moderatorin „Marie Caroline Blanche“ live verfolgen und bekommen sogar ein kleines Buffet, die Braunäugigen werden in einen kellerartigen Raum gebracht und verfolgen die Show nur über einen Bildschirm. So soll das Publikum am eigenen Leib erfahren, wie sich Diskriminierung und Rassismus anfühlen. Aber klappt das auch?

„Enjoy Racism“ vom Regieduo Thom Truong (Monika Truong und Thom Reinhard) ist eines der Stücke, die der Theaterwissenschaftler Friedemann Kreuder und sein Team untersuchen. Er leitet bei uns das Projekt „Staging Differences“, in dem er zu zeitgenössischem und postdramatischem Theater forscht.

Wir reden aber nicht nur über dieses Stück: Wer darf im Theater eigentlich wen spielen? Spielt es eine Rolle, ob man in verschiedenen Kategorien wie Geschlecht, Hautfarbe oder Alter der dargestellten Figur ähnelt? Oder kommt es nur auf schauspielerisches Talent an? Und reicht eine graue Perücke, um „alt“ darzustellen, oder gehört da noch mehr dazu?

Diese Episode ist ein bisschen ungewöhnlich – es geht nicht nur um experimentelles Theater, auch wir experimentieren mal mit einem anderen Podcastformat. Lasst uns gern wissen, ob euch das gefallen hat!

Der SFB 1482 Humandifferenzierung ist an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Leibnizinstitut für europäische Geschichte angesiedelt. Finanziert wird er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Podcast Team: Host: Friederike Brinker Producer: Marco Mazur studentische Hilfskraft: Tamara Vitzthum

Alle Infos zu unserem SFB findet ihr auf unserer Website, Instagram, Threads oder Mastodon.

Kontaktieren könnt ihr uns natürlich auch per Mail: sfb1482.kommunikation@uni-mainz.de

Transkript anzeigen

FB: Hallo, wir sind das Podcast Team Friederike Brinker,

TB: Tamara Vitzthum

MM: und Marco Masur.

FB: Heute zu Gast ist Friedemann Kreuder. Er ist Professor in der Theaterwissenschaft und leitet bei uns das Projekt Staging Difference. Wir sprechen heute über seine Forschung zu experimentellem Theater und über Cross Casting, also über das Besetzen von Rollen, über Hautfarben, Geschlechters- und Altersgrenzen hinweg. Das Gespräch ist ein wenig länger geworden, weshalb wir heute mal ein neues Format ausprobieren und nur Ausschnitte des Gesprächs einspielen. Insbesondere sprechen wir über eines der Stücke, das er und seine Doktorandinnen Jana Prinsloo, Annika Will und Stefanie Hampel bearbeiten: Enjoy Racism von Monika Truong und Thom Reinhardt. Bevor wir auf das Stück eingehen, aber erst einmal zum Projekt selbst. Friedemann und seine Mitarbeiterinnen sind Theaterwissenschaftler:innen, die sich anschauen, wie Unterscheidungen zwischen Menschen im Theater aufgeführt werden. Das Spannende dabei ist, dass es nicht nur um die großen Unterscheidungen zum Beispiel nach Alter, Beruf und so weiter geht, sondern auch darum Wie verwandelt sich eine Schauspielerin auf der Bühne in die Figur? Wie stellt man da wie einen bestimmten Beruf? Es geht da um ganz kleine Details, die in der Situation entstehen.

Intro: Sone und solche. Ein Podcast über Menschen und wie sie sich unterscheiden und wie die Kulturwissenschaften dazu forschen. Mit dem Sonderforschungsbereich Humandifferenzierung.

Friedemann Kreuder: Eine situative Veränderung von Körperhaltung, von Stimm, Timbre, von Augenkontakt in der Interaktion schon Teil eines Prozesses, in dem eine Person sich in einem Kommunikations zusammen mit dem Zuschauer zur Zuschauer oder Zuschauerin sukzessive in eine Rolle verwandelt. Und wir greifen sozusagen in diesen SFB ein, als wir genau diese flüchtige Dimension der Körper basierten, Prozessieren von kulturellem Sinnen aus unserer geschulten Optik oder heuristischen Optik in den Blick bekommen wollen. Das bedeutet, es ist ja sozusagen nicht alles in der sozialen Interaktion, wie wir uns gerade auch in die Rolle als Interviewer und Interviewee befinden, ist ja auch sehr, sehr vieles der beruflichen Funktions rolle vorgängig. Das heißt, es ist eigentlich ein und auch uneigentlich der subtile Teil sozialer Kommunikation, für den wir sehr, sehr stark verantwortlich sind, also für den Rollen Begriff.

FB: Daneben gibt noch die Unterscheidung in drei Gruppen, die im Theater relevant ist: Es gibt Schauspieler:innen, die Figuren, die diese Darstellen und das Publikum. Friedemann und sein Team interessieren sich dabei vor allem für experimentelles Theater

FK: Im Projekt wird es insofern wichtig, weil die Transformation in eine Rolle, also wiederum das schrittweise sich verwandeln von einer Person in einen ganz bestimmten Zusammenhang. Das ist der kommunikative Zusammenhang der Theater Situationen. Klassisch traditionell wird der über die Raum und Gruppen Aufteilung in die Teilnehmer Rolle des Zuschauers, der Zuschauerin und des Akteurs der Akteurin auf der Bühne, die oft in Schauspieler oder Sänger ist gegeben. Und wir haben es eben mit Theaterformen zu tun, die man eher stärker dem modernen Performance Theater zuordnen würde, wo gerade diese Verwandlung der Akteurinnen in einem kommunikativen Zusammenhang in eine Rolle nicht nur die Voraussetzung dafür ist, dass jemand beispielsweise vor anderen den Othello gibt zum Beispiel. Sondern tatsächlich auch das ästhetische Material, mit der diese Theater arbeiten, tatsächlich experimentell umgehen. Das sind Theaterformen, die sozial experimentieren, indem sie die Zuschauer sozusagen aus ihrer Komfortzone herausholen. Sehr häufig also, das heißt in ein Spiel mit involvieren, in dem dann die typische Triade für Theater, nämlich die Verwandlung eines Akteurs in eine Figur, immer verschränkt bleibt mit einer schon mit einkalkulierten Zuschauersituation, indem man die Zuschauer, die Zuschauerinnen in das Spiel mit hineinzieht.

FB: Als Beispiel möchten wir euch das Stück „Enjoy Racism!“ von Monika Truong und Thom Reinhard vorstellen. Dabei werden Besucher:innen am Eingang nach Augenfarbe sortiert – die blauäugigen werden in den Aufführungssaal geführt, es gibt Stühle, ein Buffet und eine Bühne, die braunäugigen kommen in eine Art Keller und können das Geschehen nur über eine Bildschirm verfolgen. Sie werden auch recht barsch behandelt, während die blauäugigen freundlich begrüßt werden. Das Stück beginnt mit der Vorstellung der Moderatorin:

Enjoy Racism: I am Marie Caroline Blanche. You know it really good help in Europe. Please feel free to get to the buffet whenever you want.

FB: Marie Caroline Blanche ist, als Kontext eine Schwarze Frau mit blonder Perücke, sehr hellem Make-Up und, wie man hört, einer künstlich hohen Stimme. Irgendwann versuchen dann auch die Leute im Keller die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und auch eine blauäugige Teilnehmerin versucht Kontakt aufzunehmen.

Enjoy Racism: Sweetie, sit down, what are you doing? We already have a troublemaker. What are you doing, what do you do darling? I want to get in contact with them. Why do you think..? They are not comfortable there. They need our help. But how do you know that? I don't see them because they are a bit dark. I don't think they are directly asking for help. They are there because they are brown-eyed. And you are here because you're blue-eyed. I don't believe in rooms anyhow. It's for your own protection of course.

FB: An einem gewissen Punkt sollen die Braunäugigen dann entscheiden ob sie gehen, oder ob sie hochkommen möchten, es wird aber klar gemacht, dass sie dann nicht gut behandelt werden. Die Blauäugigen werden angewiesen, auf keinen Fall nett zu ihnen zu sein.

Enjoy Racism: Imagine that you are in a room surrounded only by white people. When the brown-eyed come on we are going to strip them of all their privileged. Now open your eyes. You are not allowed to feel sorry for them. Everybody should cooperate. Is there anybody who feel that he or she cannot do it? Let's look at the rules. Do not make them feel comfortable.

FB: Es kommt dann aber ganz anders: Marie Blanche zieht Bluse, Handschuhe und Perücke aus und entfernt einen Teil des Make Ups, auch die Stimme ändert sich: Die Gruppen müssen Plätze tauschen, plötzlich werden die Blauäugigen schlecht behandelt.

Enjoy Racism: Turn around and face the room. Why are you standing? Sit on the floor. Why are you wearing a scarf in here? Take off the scarf. It's not cold. Take it off. Take off the scarf. Take off the scarf! Take it off!

FB: Am Ende wird dann über die Erfahrung, diskutiert.

Enjoy Racism: Überlappende Stimmen. Do people choose who they become, People cannot just leave an unpleasant situation in the real world. Brown-eyed people want to be saved from the snackless room .

FB: In der Aufnahme, die ich gesehen habe, haben nicht alle Teilnehmenden das Stück bis zum Ende verfolgt, einige sind auch früher gegangen. Das ganze ist nicht neu.

FK: Die Übung, um die es geht. Es geht hier um ein Krisen ins Experiment mit rassistischen Zuschreibungen, geht zurück auf die 1970 er Jahre und eine amerikanische Lehrerin namens Jane Elliot, die schon zu sehr frühem Zeitpunkt mit ihren verhältnismäßig jungen Schülern 10, 12, 14 Jahre Rassismuskritische Experimente durchgeführt hat, derart, dass sie nach willkürlichen Kriterien die Schüler in ihrer Klasse in zwei Gruppen eingeteilt hat und die eine Gruppe sozusagen von ihrer Rolle her die andere hat diskriminieren lassen. Das führt natürlich dazu, dass die Schüler sich ab einem gewissen Zeitpunkt dagegen wehren.

FB: Es geht also darum, Diskriminierungserfahrungen dem überwiegend weißem Publikum erlebbar zu machen.

FK: Auch diese Situation, wenn sie auch vom Regieteam reflektiert wird, mit den Zuschauern für die Beteiligten von allen Seiten unerträglich wird und die Performanz überführt wird in ein Diskussionsforum, also in Spitzenwerten dessen, was hier zu erreichen versucht wird, nämlich ein sehr, sehr starkes, affektives Erleben von Diskriminierung situativ herzustellen ist es aber natürlich so, dass Shelley also einigen Erfolg hat damit, durch diese Verhaltensweisen gerade den Blauäugigen zu Zuschauern Rassifizierende Äußerung zu entlocken, die sehr häufig gar nicht auf ihre Figur ja jetzt abgeschminkt Marie Claire Blanche, sondern eben auch sehr stark auf sie als POC bezogen sind und insofern Krisen Experiment artig das zutage fördern, was das hier ursprünglich eben Modell stehende Krisen Experiment der US amerikanischen Lehrerin Jane Elliott auch geleistet hat. In den 1970er Jahren nämlich Weißen vor Augen zu führen, dass sie selbst temporär kurzweilig, im kurzen Zeitraum doch schwerer bis gar nicht zu diskriminieren sind, im Gegensatz zu den Menschen, in denen sich hier situativ auch von Partizipieren der Zuschauer Innenseite eingeführt werden soll.

FB: Viele der Zuschauenden machen in diesem Zusammenhang auch selbst rassistische Äußerungen oder übernehmen die Begriffe, die die Moderatorin anbietet. Etwa „Brownie“, was in der Tradition einer Vielzahl von Begriffen steht, die gerade Frauen auf Essbares reduziert. Die Idee hinter dem experimentellen Theater ist, dass ein klassisches Theater einfach nicht ausreichend Wirkung entfaltet. So beobachtet Friedemann etwa während der Wagnerfestspiele, wie Besucher:innen auf gesellschaftskritische Opern reagieren, die den Niedergang der Besitzenden Klasse beschreiben: Sie feiern sich selbst, dass sie an den Bayreuther Wagnerfestspielen teilgenommen haben, bei denen die Tickets für eine Aufführung zum Teil über 400€ kosten. In diese Paradoxe möchten viele experimentelle Theaterstücke ihr Publikum nicht entlassen.

FK: Wie fast alle großen Ikonen der Performance Art von Marina Abramovic über Rachel Rosenthal und andere Künstler*innen dieser Zeit, in unseren Sechzigerjahren, dieses Theater mitbegründet haben. Es hat immer etwas mit Kontrolle zu tun und mit einem stärkeren Eingreifen oder auch Handhabe gewinnen über Zuschauer*innen in der Weise, dass man eben auch die Wirkungen und die Zuschauern Reaktionen in Teilen zu kontrollieren oder zumindest mit einem sehr starken ethischen Imperativ zu versehen versucht. Und das bedeutet, dass die Performance zunehmend auch in der Frage Ist das jetzt sozusagen gut oder schlecht, wie hier reagiert wird? Eine sehr stark ethische Dimension einschließt. Die Theater eben auch eine gewisse gesellschaftliche Relevanz sichern soll. Und es bleibt den Zuschauer*innen ja unbenommen, da reinzugehen, wenn sie nicht wissen, was sie erwartet.

FB: Aber auch hier klappt das nicht immer.

FK: Aber letztendlich hat ja auch jede Person die Möglichkeit, übrigens auch am Ende dieser Theaterarbeiten nach sozusagen erfolgreich vollzog eine Vergemeinschaftung in einem jetzt zumindest bildungsmäßig sehr hochstehenden Segment von Theaterformen, sich auch wieder als einer gesellschaftlichen Schicht zugehörig zu fühlen, die eben in diese Avantgarde Theaterformen geht und ja nicht selten dann auch ohne wirklich jede nachhaltige Reaktion oder jede nachhaltige Wirkung auf das eigene bildungsbürgerliche Leben. Und ich sage das als humanistisch erzogener Bildungsbürger.

FB: Ob diese Theaterstücke also überhaupt die gewünschte Wirkung zeigen, ist noch eine offene Forschungsfrage. Und ihr merkt schon, Friedemann spricht vom Zielpublikum des Bildungsbürgertum. Dazu passt auch eine Frage, die mir unser Hörer Hendrik mitgegeben hat. Wie relevant ist Theater, wenn sich die meisten Produktionen ja nur an eine relativ kleine und privilegierte Personengruppe richten?

FK: Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass das Theater in seiner Medialität seine Wirkung für bestenfalls 2 % der deutschen Bevölkerung und das ist noch positiv geschätzt, da gibt es durchaus sinkende Fallzahlen.

FB: Dennoch bleibt Theater trotz der Konkurrenz zu anderen Medien wie Film das, was Kultur bei uns ausmacht. Das Besondere am Theater ist auch, dass es persönliche Begegnungen ermöglicht.

FK: Letztendlich wird das Kulturelle oder auch das Kulturelle als Differenz oder Humandifferenz immer ja erfahren. In der zwischenmenschlichen Begegnung und der kulturellen, wechselseitigen Herstellung von Hintergrund Sprachen in der konkreten Begegnung. Dass zwei sozusagen merken, dass sie sich überhaupt nicht verstehen, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen oder weil der oder die andere sozusagen eine ganz andere Vorstellung hat vom anderen und die sozusagen den anderen oder die andere wieder disassimilieren, in ihre Attribution mit einrahmt. Das heißt, wir können ab einem gewissen Punkt, der zwischenmenschlichen Begegnung nicht entrinnen. Bzw. Die wird ganz ausschlaggebend, inwieweit die Werte ganz ausschlaggebend dafür, wie und unter welchen Voraussetzungen wir den anderen oder die andere tatsächlich für andere oder als andere erfahren. Und das kann Theater ohne jeden Zweifel in besonderer Weise ins Feld der Aufmerksamkeit rücken.

FB: Für Friedemann und viele Theatermacher ist zudem die Intensität und das affektive Erleben eines Theaterstücks einzigartig, auch wenn das Zielpublikum sehr klein ist. Für ihn ist das Theater durchaus sehr relevant. Eine weitere Frage, die Friedemann und seine Kolleginnen sich stellen, ist die Frage danach, wie über die Besetzung der Rollen entschieden wird.

FK: Es ist schon interessant, mal zu gucken, mit welchen Ideen kommutifizierender Absicht das heißt also Zuschauer über Gehaltsklassen oder vergemeinschaffender Absicht besetzen in den Intendanten von Häusern oder Opern oder Festivals. In der Oper gibt es inzwischen auch solche immersiven Theaterformen. Insofern ist der Versprecher gar nicht falsch. Aber es sind eben Mit welcher Absicht besetzen denn Intendanten diese Aufführungen, die sozusagen ganz klar auf Zuschauer Reaktionen im weiten Spektrum auch setzen?

FB: Dazu führen sie Interviews mit Theaterschaffenden, schauen sich aber auch den Diskurs um die Entscheidungen, etwa in Rezensionen an. Ein Interessantes Theater ist in dieser Hinsicht das Berliner Maxim Gorki Theater, das Rollen und Performances grundsätzlich Colorblind besetzt, das heißt, welche Hautfarbe eine Schauspieler:in hat spielt keine Rolle dafür, welche Rollen man spielen darf. Darauf reagieren nicht alle positiv.

FK: Das hat durchaus zu Reaktionen geführt, dass weiße Schauspieler sich hier sehr stark diskriminiert gefühlt haben, weil sie sagen, jenseits dieses ja künstlerisch ungeschulten Aktivismus werden unsere Qualitäten hier unterschätzt. Und wir werden ja letztendlich als weiße Schauspieler*innen hier gar nicht adäquat unserer künstlerischen Leistung überhaupt in Betracht gezogen, weil dieses Theater eben sehr, sehr stark künstlerische Leistungen an Hautfarben bindet. Shermin Langhoff hat einen sehr, sehr starken Antisemitismusvorwurf gehabt, und man kann sehen, also, wie dynamisch und wie ambivalent und hoch vermient dieses Forschungsfeld ist im Hinblick auf die Frage Wer darf wen wie in welcher Situation darstellen oder eben auch was kreieren.

FB: Beim Tanz und bei der Oper ist das übrigens anders.

FK: Faust durchlebte auch keine Glaubenskrise in erster Linie, sondern einen körperlichen Abstieg. Und was ich damit sagen will ist da wird aber keiner genauer hingucken, wenn die Stimmfächer besetzt sind. Da tritt sozusagen doch in der Regel und in der Theaterform der Ort des Musiktheaters, wo der Körper in erster Linie stimme ist der Phänotyp sehr stark in den Hintergrund. Also insofern hat da jede Theaterform ihre spezifischen Blindheit.

FB: Der Körper wird hier weniger mit der Identität in Verbindung gebracht sondern die Bewegung bzw. die Stimme zählen. Auch das Körpergewicht spielt oft eine Rolle: Bei der Oper wird ein gewisses Körpervolumen als Resonanzkörper gebraucht, Schauspieler*innen nehmen oft ab, um die gewünschten Rollen zu erhalten.

FK: In Ensembles, die weit überwiegend weiß aus doch überdurchschnittlich attraktiven, durchtrainierten Körpern bestehen. Sind diejenigen, die etwas korpulenter sind, sozusagen diejenigen, gerade auch in der Rolle als Frauen, die als erste abnehmen müssen, weil sie sonst aus der Rolle von Shakespeares Amme, die eigentlich deutlich älter ist und ganz anderen Segment, Gesellschaft, Segment kommt. Sie werden eben trotzdem vor allen Dingen das nennt man dann alt spielen. Die müssen dann sozusagen ständig spielen und bekommen auch aufgrund ganz bestimmter Geschlechter Stereotype. Beispielsweise bei bei Romeo und Julia bekämen die überhaupt keine Rolle. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum beispielsweise Romeo und Julia nicht mal Das habe ich zwar noch nicht gesehen, aber es gibt sehr vermutlich mit Sicherheit. Warum soll das nicht in der Klinik für Adipöse spielen?

FB: Auch das Staatstheater Darmstadt unter Carsten Wiegand hat eine vergleichbare Besetzungspolitik.

FK: Carsten Wiegand hat für seine Produktion von Moses und Aron in der Oper nicht nur einen ersten Mann zu Frau transsexuellen Bariton besetzt, sondern er hat auch schon zum sehr frühen Zeitpunkt, den ja durch seine Unglückliche, durch sein Verunglücken bei einer der letzten Wetten dass Produktion von Thomas Gottschalk bekannt gewordenen Schauspieler Samuel Koch sehr früh geholt. Der tetraplegisch ist, das heißt also unterhalb der Halswirbel gelähmt und trotzdem.

FB: Auch hier gab es Kritik, aber Friedemann hat die Stücke so erlebt, dass die Schauspieler:innen nach kurzer Zeit so sehr die Figuren verkörpern, dass es völlig egal ist, ob etwa zwei Schauspieler:innen ihren Hautfarben nach verwandt sein könnten – sie sind es einfach. Mich hat am Cross-Casting ziemlich überrascht, dass der Kanon und klassische Stücke hier eine große Rolle spielen, insbesondere wenn man über z.B. Grenzen von Gender, Alter oder Hautfarben hinweg castet.

FK: In der Regel, wenn zum Beispiel Cross gecastet wird, schon eher kanonische literarische Texte ausgewählt haben. Okay, das kann man spekulieren, ohne dass sozusagen wie bei allen Klassiker Inszenierungen eben gerade ein Stück, das sehr bekannt ist, ja umso deutlicher die Regie-Innovation auch hervorzutreten, hervortreten zu lassen vermag. Es gibt kaum eine innovative oder auch als Avantgarde zählende Theaterbewegung, die ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht an der Inszenierung von Klassikern ihre neue innovative Theater Ästhetik verdeutlicht hat.

FB: Solange man mit den Theatermachenden nicht gesprochen hat, bleibt das aber Spekulation. Es ist auch durchaus möglich, dass die Entscheidung rein von der z.B. der Verwandlungsfähigkeit der Person abhängig gemacht wurde und diese Kategorien gar keine Rolle spielen. Das Cross-Casting ist für uns im SFB Humandifferenzierung übrigens besonders interessant, da Schauspieler:innen in ihrer Ausbildung lernen, in andere Rollen zu schlüpfen, also die ihnen zugeschriebenen Personenkategorien auf der Bühne zu wechseln: Wenn Schauspieler:innen etwa eine ältere Person spielen, zeigt sich: Wie performt man eigentlich Alter? Welche Kriterien sorgen dafür, dass wir jemanden als alt sehen?

FK: Wenn Schauspielerinnen etwa eine ältere Person spielen, zeigt sich Wie performt man eigentlich Alter? Welche Kriterien sorgen dafür, dass wir jemanden als alt sehen? Wie und unter welchen Voraussetzungen jemand innerhalb von Sekunden darstellerisch altert? Und es heißt gar nicht, dass die dann sozusagen irgendwie so leicht Parkinson artig man ist wirklich nicht klar, dass also Menschen so Parkinson artig, zitternd, also etwa nach dem Stereotyp, das der Commedia dell'arte Maske, das alles weiblichen Pantalone, dann irgendwie chromatisch gebeugt, auf einem, auf einem Stock, also sich irgendwie weiß von den Haaren geschminkt oder mit blassem Tenor dann zittrig über den Boden bewegen. Da gibt es also ganz viele verschiedene Formen Alter darzustellen, allein vom Stimmtimbre her oder von einem ganz bestimmten Habitus im schauspielerischen Gestus.

FB: Übrigens für Friedemann Forschung reichen die klassischen theaterwissenschaftlichen Methoden nicht. In der Theaterwissenschaft betrachtet man meist die Stücke aus Publikumsperspektive. Um die humanen Differenzierungen in den Stücken zu beobachten, reicht das allerdings nicht. Je nachdem, was das Ensemble oder das Theater erlauben, begleiten Friedemann und sein Team das Stück also schon bei der Entstehung. Um etwa auch zu erfahren, in welchen Kategorien die Teilnehmenden ihr Publikum denken und welche Gesten, welche Stimmlagen usw braucht man, um bei diesem Publikum die gewünschte Wirkung zu erzielen? Und auch nach der Aufführung ist die Forschung nicht vorbei. Hier fragt sich das Team etwa Wie ist das Stück angekommen? Wie wird im Restaurant nach der Aufführung darüber gesprochen? Da die Stücke in den gesellschaftlichen Raum wirken wollen, ist es wichtig, auch das Publikum im Nachhinein zu interviewen. Etwa denjenigen, der bei Enjoy Racism den Begriff Brownie übernommen hat und eine Darstellerin so bezeichnete. Schließlich hatte diese als schwarze Frau ebenfalls braune Augen. Ob dies an einer gewissen Aggressivität liegt, ob die Äußerung von offenem Rassismus oder eher davon zeugt, dass er sich mit Begriffen dieser Art noch nicht beschäftigt hat, das erfährt man erst im Interview.

FB: So, das war's zu Friedmans Projekt. Lasst uns gern wissen, was ihr von dieser doch mal sehr anderen Folge haltet. Und da vieles weggekürzt oder zusammengefasst wurde, sind bestimmt viele Fragen offen geblieben. In den Sinn und Zweck unseres Social Media Accounts. Lasst uns da gern eure Fragen an Friedemann wissen. Ich werde sie ihm dann noch mal stellen.

FB:

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