Albinismus als Humandifferenzierung

Shownotes

Bei Albinismus denken viele von uns zunächst an sehr helle Haut und Haare. Aber wusstet ihr, dass Menschen mit Albinismus meist auch noch eine Sehbehinderung haben? Und dass es viele verschiedene Formen von Albinismus gibt? Christopher Hohl und Theresa Schweden erzählen in dieser Folge, was Albinismus ist und wie er sich im Alltag auswirkt – Theresa berichtet aus eigener Erfahrung, Christopher von seinen Forschungen in Lagos, Nigeria.

Christopher Hohl forscht als Ethnologe zur Repräsentation von Menschen mit Albinismus. Ihn interessiert vor allem die Geschichte von Albinismus als einer Humandifferenzierung. Vor 150 Jahren etwa wurden einige Betroffene in sogenannten Freak Shows ausgestellt, heute arbeitet eine Reihe von Menschen mit Albinismus dagegen als Models. Aber mancherorts gibt es auch problematische Vorurteile: So kommt es immer wieder zu Angriffen auf Menschen mit Albinismus.
Dr. Theresa Schweden ist Linguistin und beschäftigt sich mit Sprache und Behinderung. Sie betrachtet, welche Begriffe für Behinderungen genutzt werden und wie diese sich im Laufe der Zeit ändern, zudem kennt sie die Diskurse in den Communities sehr gut.

Mehr über Christophers Forschung könnt ihr in seinem Artikel „Albinism between Stigma and Charisma“ sowie in einem gemeinsamen Aufsatz mit Matthias Krings „Extraordinarily White“ nachlesen.

Der SFB 1482 Humandifferenzierung ist an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Leibnizinstitut für europäische Geschichte angesiedelt. Finanziert wird er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Podcast Team: Host: Friederike Brinker Producer: Marco Mazur studentische Hilfskraft: Tamara Vitzthum

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Kontaktieren könnt ihr uns natürlich auch per Mail: sfb1482.kommunikation@uni-mainz.de

Transkript anzeigen

Christopher Hohl: Menschen mit Albinismus wurden hier dann häufig als exotische Wesen inszeniert, etwa als weiße Afrikaner oder auch als die Ureinwohner Islands. Was der isländische Botschafter damals gar nicht lustig fand.

Friederike Brinker: Hallo, wir sind das Podcastteam Friederike Brinker,

Tamara Vitzthum: Tamara Vitzthum

Marco Mazur: Und Marco Mazur. Am 13. Juni ist der international Albinism Awareness Day. Und da bei uns der Ethnologe Christopher Hohl, der zur Repräsentation von Menschen mit Albinismus forscht und die Sprachwissenschaftlerin mit Albinismus, Dr. Theresa Schweden arbeiten, gibt es in diesem Monat eine Folge zum Thema Albinismus. Sone und Solche - ein Podcast über Menschen und wie sie sich unterscheiden und wie die Kulturwissenschaften dazu forschen.

Marco Mazur: Mit dem Sonderforschungsbereich Humandifferenzierung.

CH: Hallo, mein Name ist Christopher Hohl. Ich habe hier in Mainz an der Uni Ethnologie studiert und promoviere jetzt mit einer Arbeit zur Repräsentation von Albinismus.

Theresa Schweden: Hallo, mein Name ist Theresa Schweden. Ich bin Sprachwissenschaftlerin. Ich habe hier in Mainz an der Uni Germanistik und Anglistik studiert und auch promoviert und bin seit Oktober letzten Jahres im SFB und forsche hier zur sprachlichen Verhandlung von Behinderung.

FB: Und ich bin Friederike Brinker und ich moderiere diesen Podcast. Genau. Christopher, also wir sprechen heute über Albinismus und Beziehungsweise Repräsentation von Albinismus. Aber was ist denn eigentlich Albinismus?

CH: Ich würde sagen, die Antwort hängt sehr vom erkenntnistheoretischen Standpunkt ab, denn je nachdem, welchen man da vertritt, kann die Frage ganz unterschiedlich beantwortet werden.

FB: Zum Beispiel?

TS: Aus einer biologischen Perspektive ist Albinismus erst mal eine erbliche Stoffwechselstörung. Die betrifft die Biosynthese, also die Herstellung von Melanin, das ist ein Farbpigment. Und Albinismus betrifft aber gleichzeitig auch das optische System und was wahrscheinlich viele gar nicht wissen Albinismus ist auch nicht gleich Albinismus. Also es gibt tatsächlich verschiedene Typen von Albinismus und das optische System, also die Augen, die sind bei allen Albinismus-Typen betroffen. Während die Melaninbildung, in der Haut und in den Haaren nicht bei allen Typen betroffen sind. Die Typen, bei denen nur die Augen betroffen sind die nennt man Okularen Albinismus. Also da steckt Oculus, lateinisch Oculus Auge drin. Die Typen, bei denen Haut, Haare und das optische System betroffen sind, die nennt man Oculocutanen, Albinismus. Da steckt zusätzlich noch das lateinische Wort für Haut Cutis drin. Und ja, bei diesen Typen ist es eben so, dass nur eine geringe Menge oder gar kein Melanin auch in Haut und Haaren vorhanden ist und das sorgt natürlich für diesen, für diesen Phänotyp, den wir uns wahrscheinlich alle auch unter Albinismus vorstellen. Das heißt also, besonders helle Haut, sehr hellblonde bis weiße Haare und hellblaue Augen. Ja, zu der Beeinträchtigung des optischen Systems, das ist auch wieder relativ komplex. Also es betrifft zum einen die Sehstärke, das heißt Menschen mit Albinismus haben eine geringere Sehstärke. Wenn man das jetzt an einem Wert orientiert, der eben in der Medizin als Normwert angesehen wird. Und das hängt damit zusammen, dass die Sehgrube, das ist der Punkt, das schärfsten Sehens auf der Netzhaut, dass der nicht vollständig ausgebildet ist. Menschen mit Albinismus sind außerdem sehr lichtempfindlich. Das hängt auch mit der geringen Melaninbildung im Auge zusammen. Außerdem ist auch das räumliche Sehen beeinträchtigt und Menschen mit Albinismus haben auch etwas. Das nennt man Nystagmus. Das ist ein Augenzittern, das heißt, das Auge bewegt sich immer so ganz leicht hin und her. Also macht so eine leichte Pendelbewegung.

FB: Das heißt also, ich wusste gar nicht, dass es verschiedene Formen von Albinismus gibt, und ich habe es total in Verbindung gebracht mit diesen sehr hellen Haaren vor allem und ich glaube, als Kind hatte ich auch noch gedacht, alle Menschen mit Albinismus hätten rote Augen. Aber das ist ja Schwachsinn. Aber was hat es mit diesem Klischee eigentlich auf sich?

TS: Ja, die dieses Menschen mit Albinismus rote Augen haben, das ist, glaube ich, so ein Mythos, der sich hartnäckig hält. Das stimmt natürlich nicht. Dieser Eindruck kommt dadurch zustande, dass man dadurch, dass keine Farbpigmente in den Augen vorhanden sind, ist die Iris durch sichtig. Und manchmal, wenn das Licht auf eine bestimmte Art und Weise ins Auge fällt, sieht man dann die Blutgefäße, die dahinter liegen, durchschimmern. Also das ist zum Beispiel auch der Fall, wenn man jetzt mit Blitzlicht fotografiert. Das betrifft aber gar nicht alle Menschen mit Albinismus, nur die, die besonders helle Augen haben, also die gar keine Melanin Produktion haben. Eigentlich reichen die Augenfarben bei Menschen mit Albinismus von hellblau bis hellbraun und je dunkler die Augenfarbe ist, desto weniger sieht man das dann natürlich auch mit den Blutgefäßen.

FB: Und welchen Typ von Albinismus hast du? Ich meine, merkst du was von diesem Nystalgismus?

TS: Ja, also ich habe den sogenannten Oculucutanen Albinismus Typ 1A. Also bei mir sind eben auch das optische System und die Melaninbildung in Haut und Haaren betroffen. Das ist auch der häufigste Typ, den es in Europa gibt. Und es ist auch der Typ, bei dem Betroffene die geringste Sehstärke haben. Also die liegt so zwischen fünf und 15 % von dem, was eben in der Medizin als Norm gilt, also als 100 % gilt. Und in meinem Fall ist das so, dass ich circa 10 % sehe. Das heißt, ich bin ja Brillenträgerin, das kann natürlich auch mit einer Brille jetzt nicht ausgeglichen werden. Und der Nystagmus. Ich persönlich merke davon nichts. Also das ist jetzt nicht so, das dass das Bild jetzt die ganze Zeit wackelt, der ist auch nicht immer gleich stark vorhanden. Also das ist auch sehr abhängig davon, ob man zum Beispiel das Auge anstrengt oder eben gerade das Auge gerade entspannt ist.

FB: Albinismus gilt auch als Behinderung, soweit ich weiß. Aber bezieht sich das eigentlich dann nur auf die Augen? Oder gibt es mit der Haut auch Gründe, warum es als Behinderung zählt?

TS: Also Menschen mit Albinismus sind natürlich in vielen Situationen behindert und das hat zum einen natürlich mit der Sehstärke zu tun, ganz klar. Also. Da entstehen viele Barrieren, zum Beispiel in der Ausbildung, in der Freizeit, im Beruf. Ich kann zum Beispiel keinen Führerschein machen. Dadurch bin ich natürlich sehr stark in der Mobilität eingeschränkt. Ich habe auch Probleme, mich im Straßenverkehr, vor allem in Städten, zurechtzufinden oder neue Orte zu finden. Durch die ja fehlende Melaninbildung, in der Haut können natürlich auch manchmal Behinderungen entstehen. Also zum einen ist es so, dass ich stärker Hautkrebs gefährdet bin dadurch. Ich muss natürlich immer Sonnenschutz auftragen mit hohem Lichtschutzfaktor. Wenn die Sonne richtig prall scheint, muss ich die natürlich auch meiden. Ja, ich muss aber sagen, dass das für mich gar keine so große Barriere darstellt. Also mittlerweile ist es ja relativ auch normal geworden, dass man das Sonnenschutz eigentlich auch zur Hautpflege dazugehört, auch für Menschen ohne Albinismus. Und ja, ich bin sowieso nicht so ein Sommermensch. Das heißt für mich ist es jetzt nicht so schlimm, die Sonne zu meiden. Also da ist diese Sehbehinderung ist natürlich für mich schon wesentlich relevanter. Ob wir hier von der Behinderung sprechen können, ist natürlich auch davon abhängig, von welchen Behinderungsmodell wir ausgehen. Also wir entscheiden in den Distability Studies, also das sind die Wissenschaften, die sich mit Behinderung beschäftigen zwischen einem medizinischen Modell und einem sozialen Modell. Und das medizinische Modell, das geht eben eher davon aus, dass Behinderung eine Beeinträchtigung ist eines Menschen, also ein Defizit oder auch eine Schädigung, dass es irgendwie zu heilen oder auszugleichen gilt. Während das soziale Modell von Behinderung, das ja vor allem eben in den späten Siebzigern und in den 80er Jahren in der Behindertenbewegung auch in den Fokus gerückt ist, Behinderung eher als Erfahrung wahrnimmt. Also ich werde dadurch behindert, dass es bestimmte gesellschaftliche Strukturen gibt, dass es bestimmte Barrieren gibt. Ja, zum Beispiel war es bei mir in der Schule so, dass ich nicht lesen konnte, was an der Tafel stand. Das war natürlich eine Barriere für mich. Also ich konnte nicht auf dieselbe Weise dann an diesem schulischen Leben teilhaben wie die anderen. Ich bekam dann aber von der Schule ein Bildschirmlesegerät gestellt, mit dem ich mir dann das Tafelbild auf einen Bildschirm projizieren und vergrößern konnte. Und dadurch war diese Barriere dann eben wieder abgeschafft für mich. Also ich konnte ja normal am Unterricht teilnehmen, wie alle anderen auch.

FB: Christopher, du hattest ja am Anfang gesagt, es gibt viele Antworten darauf was Albinismus eigentlich ist. Kannst du dazu noch was sagen?

CH: In Nigeria, würde ich sagen, ist die Situation für Menschen mit Albinismus aus verschiedenen Gründen herausfordernder. Was unter anderem auch einfach mit der geografischen Lage zu tun hat. Nigeria liegt näher am Äquator, das heißt, die Sonneneinstrahlung ist dort direkter. Der Winkel ist halt kleiner und dadurch enthält sie mehr ultraviolette Strahlung. Damit wiederum steigt eben das Risiko für Sonnenbrand und folglich auch für Hautkrebs. Und hinzu kommt, dass es kaum einen Markt für Sonnencreme gibt. Sie wird nicht vor Ort produziert, weil das zu teuer wäre. Und Importprodukte sind eben entsprechend kostspielig und für viele Menschen mit Albinismus in Nigeria damit auch kaum erschwinglich. Das ist sozusagen eine Kombination aus Umweltbedingungen und eben gesellschaftlicher Anpassung, die dann Menschen mit Albinismus hier behindert. Und die Haut und der Schutz dieser Haut ist für Menschen mit Albinismus in Nigeria dementsprechend ein viel größeres Thema als das hier in Deutschland der Fall ist. Und was jetzt zum Beispiel Sehhilfen angeht, auch da ist die Versorgung einfach nicht so gut wie hier in Deutschland. Wir haben hier eine Krankenversicherung, die solche Leistungen übernimmt. Wobei man sagen muss, dass Brillen nur bedingt hilfreich sind für Menschen mit Albinismus. Und in Nigeria gibt es zwar auch gerade in den Großstädten in Lagos etwa Möglichkeiten, über Versicherungen oder Programme der Regierung an Brillen zu kommen. Aber das setzt dann eben auch voraus, dass man das nötige Geld hat, um die entsprechenden Fahrten zu Ärzten und Krankenhäusern auf sich zu nehmen. Und das ist leider für große Teile der Bevölkerung tatsächlich eine finanzielle Herausforderung. Viele Menschen, mit denen ich sprach, berichteten auch, dass sie in der Schule große Schwierigkeiten hatten, weil unter Lehrkräften nur wenig Verständnis für ihre Situation herrscht. Das heißt, sie konnten eben nicht immer in der ersten Reihe sitzen, um möglichst noch etwas an der Tafel erkennen zu können. Es gab auch nicht immer vergrößerte Ausdrucke oder Kopien für Betroffene und. Ja, Lobbygruppen kritisieren genau diese fehlende Akzeptanz oder das fehlende Verständnis immer wieder. Ich habe aber auch beobachtet, dass Behinderung ein kontroverser Begriff ist. Also es gibt insbesondere unter Aktivisten mit Albinismus da Bestrebungen, diesen Begriff aufzugreifen und damit auch politisch zu arbeiten. Aber es gab eine ganze Reihe an Personen, die eher auf Distanz zu diesem Begriff gingen, weil sie ihn eben vornehmlich mit ganz krassen Einschränkungen assoziierten und einer daraus resultierenden Unfähigkeit und sie eigentlich für sich in Anspruch nahmen, dass sie doch sehr fähig sind und eben das betont haben wollten. Und deswegen ja sich da nicht so sehr mit identifizieren konnten und es gibt in Lagos ein Programm, dass Menschen mit Behinderung eine Busfahrkarte zum von der Regierung gestellt kriegen für öffentliche Busse. Das sind so große blaue Busse, die so die wichtigsten Routen verbinden und meine Gesprächspartner haben mir dann berichtet, dass sie teilweise von den Busfahrern trotz dieser Karte gar nicht in den Bus reingelassen werden, weil die Busfahrer denken, sie würden sie auf den Arm nehmen. Die Vorstellung der Busfahrer ist ein Mensch mit Behinderung, muss doch im Rollstuhl sitzen oder komplett blind sein oder so und dann sagen sie entweder du kannst gar nicht rein. Oder sie haben ihnen erlaubt, sich in der Mitte in den Gang zu stellen oder so, das heißt, trotz dieser Karte wird auch Ihre Behinderung im Alltag gar nicht immer anerkannt.

FB: Das klingt nach einer wirklich schwierigen Situation, aber ich würde eigentlich ganz gerne noch mal kurz zurück. Du meintest ganz am Anfang auf die Frage, was Albinismus ist, dass es da verschiedene Antworten gäbe Und wir haben jetzt die biologische gehört. Mit welcher Antwort arbeitest du?

CH: Grob vereinfacht sind wir eben mit der biologischen eingestiegen, also mit einer naturwissenschaftlichen Definition von Albinismus. Im Sonderforschungsbereich schauen wir uns Humandifferenzierung dagegen als kulturelle Phänomene an, also grundsätzlich als sinnhafte Unterscheidungsspraktiken, die eben situativ vollzogen werden können oder eben auch ruhen. Die historischen Konjunkturen unterliegen. Und ich schaue mir etwa an, seit wann und von wem Menschen mit Albinismus überhaupt als anders unterschieden werden oder wurden. Wie diese Unterscheidung dann definiert wurde und als Phänomen zu erklären versucht wurde. Ähm, und das ist dann eine Unterscheidung oder eine Untersuchungsperspektive, die die Biologie als Untersuchungsgegenstand einschließt, also nicht unbedingt an diese Definition anknüpft, sondern sich diese Definition auch in ihrem historischen Wandel anschaut und die Biologie eben als einen der Akteure in den Blick nimmt. Wenn wir ich gebe manchmal gern Beispiel. Nehmen wir die Frage: Seit wann gibt es Albinismus? Eine Biologin würde vermutlich sagen seit die verantwortlichen Genmutationen erstmals auftraten. Und das ist wahrscheinlich Jahrtausende her. Als Ethnologe und Beziehungsweise im weiteren Sinne als Kulturwissenschaftler stelle ich dagegen fest, dass ein Konzept von Albinismus als einer weltweit unter allen Bevölkerungsgruppen existierenden oder vorkommenden, in Anführungsstrichen, Krankheit eigentlich erst seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert existiert. Und vorher haben insbesondere Europäer Menschen mit Albinismus oder Menschen mit einer außergewöhnlich hellen Haut und hellen Haaren vor allem in tropischen Gebieten wahrgenommen, wo der Großteil der Bevölkerung eher dunklerer Hauttöne hat. Und namhafte Naturforscher des 18. Jahrhunderts spekulierten damals, ob nicht diese hellhäutigen Menschen, die da unter einer tendenziell dunkelhäutigen Bevölkerung auftraten, der Beweis wären, dass eben Schwarze zu Weißen werden können. Das heißt, das Phänomen wurde gar nicht notwendigerweise in einem medizinischen Kontext gelesen, und in eurozentrischer Manier gingen diese Forscher davon aus, dass ihre eigene Hautfarbe eben die originäre wäre. Ja, dann die irgendwie abgewichen, dann wieder zurückkehren würden in Europa, wo halt vergleichsweise helle Haut und blonde Haare gar nicht so selten sind, sind Menschen mit Albinismus lange Zeit offenbar nicht aufgefallen. Und man muss auch sagen, dass Seheinschränkungen zu dieser Zeit natürlich überhaupt nichts Ungewöhnliches waren, Hilfsmittel noch nicht in dem Maße zur Verfügung standen, wie sie das eben heute tun.

FB: Welche Aspekte vom Albinismus sind im Thema deiner Forschung besonders wichtig?

CH: Mich interessiert wie gesagt, einerseits eben die Geschichte von Albinismus als einer Humandifferenzierung. Andererseits schaue ich mir die Darstellung von Menschen mit Albinismus in Kunst, in Populärkultur, aber auch in der Wissenschaft an. Und zum Beispiel Vor 150 Jahren etwa wurden Dutzende Menschen mit Albinismus, in sogenannten Freakshows ausgestellt. Das waren Unterhaltungsshows, die die Eigenheit der Darsteller als krasse Ungewöhnlichkeit inszenierten und die Bühne Figuren wurden dazu mit entsprechenden Kostümen und mit fiktiven Biografien ausgestattet. Menschen mit Albinismus wurden hier dann häufig als exotische Wesen inszeniert, etwa als weiße Afrikaner oder auch als die Ureinwohner Islands. Was der isländische Botschafter damals gar nicht lustig fand. Sie traten als außergewöhnliche Schönheiten auf oder als Hellseherinnen und als Entfesselungskünstler. Und letztlich platzierten solche Darstellungen Menschen mit Albinismus außerhalb dessen, was als normal galt und aus der Perspektive der Humandifferenzierung würden wir dann sagen: Hier wird also die Grenze zwischen dem, was als Norm und was als deviant gilt, ausgehandelt. Und damit ist das ein Fall von Humandifferenzierung, den wir uns eben im Projekt anschauen. In den letzten 15 Jahren gab es dann Fälle, in denen eine Reihe von Menschen mit Albinismus als Models für die Modeindustrie und für diverse fotografische Projekte gearbeitet haben. Dabei ging es um die besondere Ästhetik von Menschen mit Albinismus. Und ich würde sagen, letztlich findet auch hier eine Form der Humandifferenzierung statt, weil eben ausgehandelt wird, wessen Eigenheit ihre Trägerinnen als ein ein Stigma oder eben ein Charisma verleiht. Wer als positives oder negatives Vorbild dient usw. Also auch da wird ausgehandelt, was Albinismus eigentlich ist oder wie es gelesen wird und wie.

FB: Wie gehst du konkret vor in deiner Forschung? Also wie findest du das raus, was am Ende dann in deiner Doktorarbeit schreibst?

CH: Zur historischen Recherche habe ich mir alte Reiseberichte des 17. und 18. Jahrhunderts angeschaut. Gemälde oder andere Publikationen, Zeitungsannoncen aus dem 19. Jahrhundert. Und das Tolle ist einfach: Ich kann da heute auf digitale Archive zugreifen, die so vor zehn, 15 Jahren noch gar nicht existierten. Und dann kann man natürlich relativ schnell nach Stichworten sich das anschauen und das sind Möglichkeiten, die es halt so in der Form bisher gar nicht gab. Und eine Anekdote vielleicht zu den Marketingstrategien von Freakshows. Es gibt ein den Fall eines Australiers, der als Freakshow Darsteller durch die USA tourte Ende des 19. Jahrhunderts und dort als Aboriginee mit Albinismus angepriesen wurde. Und in den USA des späten 19. Jahrhunderts, wo zwar gerade die Sklaverei abgeschafft worden war, aber eben Segregation und andere rassistische Diskriminierung herrschten. War das eine Riesenattraktion. Und ich habe mir dann angeschaut, ob derselbe Darsteller nicht auch vorher schon in Australien aufgetreten ist. Und tatsächlich hatte das aber dort wurde er eben als tscherkessischer Jüngling vermarktet. Die Tscherkessen sind eine Ethnie aus dem Kaukasus und der Kaukasus galt in einigen Rassentheorien des 18. und 19. Jahrhunderts eben als der Ursprungsort aller Weißen. In Australien war der selbe Darsteller, in den USA halt als sozusagen weißer Schwarzer ausgestellt wurde, als eigentlich als weißester Weißer aufgetreten. Und es deutet einiges darauf hin, dass er im wahren Leben eigentlich von irischen Einwanderern abstammt. Aber das zeigt einfach noch mal, wie, dass die reale Biografie eigentlich irrelevant war und dass es eben um Bühnenfiguren ging, die danach zusammengestellt wurden, was sich am besten vermarkten ließ und was natürlich beim Publikum am besten ankam. Und was die aktuelle oder was aktuelle Tendenzen angeht, recherchiere ich in Medien zu einem klassischen wie auch in Social Media Plattformen. Ich war für teilnehmende Beobachtung auch bei Fotoshootings dabei und bei Modeschauen. Die Crux ist allerdings, dass die Modeindustrie eben keinen permanenten Ort hat, wo ich irgendwie hingehen könnte und mit Leuten ins Gespräch kommen. Das heißt, erstens ist meine oder ist die Anzahl der Akteure, die für mich interessant waren, relativ klein. Sie sind über die komplette Welt verstreut. Sie bewegen sich für ihre Jobs auch relativ mobil, fliegen von einem Kontinent auf den nächsten und das auch teilweise sehr spontan. Für mich dann da rechtzeitig zu planen und Zugänge zu schaffen, Kontakt herzustellen war einfach ganz schwierig. In Nigeria war das ein bisschen leichter, weil da konnte ich Kontakt zu lokalen Lobbygruppen aufnehmen, bin dann zu deren Treffen und habe Veranstaltungen besucht von ihnen, hat mir ihre Arbeit angeschaut und darüber persönliche Kontakte geknüpft. Ich habe dann Interviews geführt und Betroffene im Alltag begleitet, bin mit denen einkaufen gegangen, bin mit denen verschiedene Teile der Stadt gefahren, durchs Viertel gelaufen. Ja, was da vor allem auffällig war, ist einfach wie krass man auf der Straße angesprochen oder wie krass man auffällt und eben auf der Straße angesprochen wird. Es kam ganz häufig vor, dass Leute uns ansprachen, dass wir gefragt wurden, ob wir Brüder sein. Und Menschen mit Albinismus fallen schon sehr auf. Aber wenn dann eben noch ein ein fremder Weißer dabei ist, dann war das natürlich noch mal auffälliger.

[00:26:27]: FB: Aber du würdest nicht für einen Menschen mit Albinismus gehalten oder? Die Bartfarbe passt nicht.

CH: Es gab mal Situationen, wo Kinder mich so bezeichnet haben, wo ich vermute, dass sie in einem Teil von Lagos wohnten, wo selten Weiße hinkommen und sie tatsächlich, also da vielleicht das noch nicht besser unterscheiden konnten. Ähm, es gab auch die Situation, dass ich auf einer Veranstaltung war und saß mitten im Publikum. Und dann wurden, ich glaube es waren Regenschirme als Sonnenschutz verteilt, kostenlos. Und meine Sitznachbarin drückte mir einen in die Hand. Und als ich sagte Ja, das ist nett, aber ich gebe den gerne weiter an eine bedürftige Person. Dann sagte sie Nee, die werden hier an alle Menschen mit Albinismus verteilt und du bist ja hier, Du bist auch einer, kriegst auch ein. Und dann war sie etwas irritiert, als ich ihr erklärte, dass ich keinen Albinismus haben. Aber das ist ja auch der Kontext. Also warum sollte ich da sein, wenn ich nicht Albinismus habe? Ja, klar. Das heißt, das lag in meiner Anwesenheit, legte ihr auch nahe, dass ich ein Mensch mit Albinismus sein müsse.

FB: Ich hatte es aber auch in den letzten Jahren immer mal wieder gehört, dass Menschen in verschiedenen Regionen in Afrika auch diskriminiert werden mit Albinismus oder teilweise auch körperlich angegriffen wurde. Wie ist denn das in Nigeria?

CH: Leider gab es in den letzten Jahren ungefähr 800 nachgewiesene Angriffe gegen Menschen mit Albinismus weltweit und leider auch mit dem Schwerpunkt in Afrika. Vermutlich liegt die Dunkelziffer noch weit höher. In Tansania allein sollen über 80 Menschen mit Albinismus ermordet worden sein. Gehäuft aufgetreten sind solche Fälle in den Jahren zwischen 2006 und ungefähr 2010 im Hinterland des Victoria Sees. Da hat meine Kollegin damals zu geforscht. Also ich bin da gar nicht der Experte für. Der Hintergrund war wohl, dass einige Waganga, das ist ja etwas schlecht übersetzt mit Medizinmännern und ihre Hintermänner und Kunden, eben den Körpern von Menschen mit Albinismus übernatürliche Kräfte zuschreiben und dann Körperteile für Rituale verwendet haben, wo es um die magische Generierung von Macht und Reichtum ging. Die tansanische Regierung hat solche Delikte dann verstärkt verfolgt und gegen Täter durchgegriffen. Zeitweise wurden ein Großteil der Menschen mit Albinismus in gewissen Gegenden auch in spezielle Einrichtungen untergebracht, um sie besser schützen zu können. Lobbygruppen und oder Lobbygruppen von und für Menschen mit Albinismus kritisieren immer wieder, dass nicht genug gemacht werden. Aber die Fälle sind schon zurückgegangen. Also zumindest in Tansania. Man hat jetzt in den letzten Jahren dann mehrere Fälle aus Malawi gehört. Aber ich würde schon sagen, das unterm Strich diese Fälle zum Glück zurückgehen. In Nigeria selbst beklagen Aktivisten ebenfalls, dass es zu Angriffen bis auch hin zu Verstümmelungen und Morden gekommen sei. Es zirkulieren dann eine Hand von namhaften Fällen, aber die stammen aus den frühen 2010er Jahren und es ist unheimlich schwierig, da genauer zu recherchieren und das zu überprüfen, weil eben Zeitungsarchive online nicht verfügbar sind, wo Leute nicht mehr erreichbar sind. Und deswegen kann ich das nicht bestätigen oder so, es ist definitiv Thema und meine Gesprächspartner waren auch davon überzeugt, dass es in ländlichen Gegenden immer wieder dazu kommt, dass Menschen mit Albinismus spurlos verschwinden. Aber ich kann da jetzt nicht auf offiziell bekannte Fälle verweisen und was mir die Gesprächspartner erzählt haben, ist, dass sie selbst in Lagos teilweise im Alltag auf der Straße dann mal ein Ogobu zugeraunt bekommen und.

FB: Was heißt das?

CH: Begriff ist schwer zu übersetzen, aber letztendlich bezieht er sich darauf, dass ihre Körper eben als Zutat für magische Rituale verwendet werden, in denen es auch wieder darum geht, eben Macht oder Reichtum zu erreichen. Und was sie, was mir auch mehrere berichteten ist, dass sie, wenn sie zum Friseur gehen, ihre Haare hinterher zusammenfegen und mit nach Hause nehmen oder gar nicht erst zum Friseur gehen, sondern sich die Haare gleich zu Hause schneiden und die Haare dann eben selber entsorgen. Einfach um zu verhindern, dass mit denen Missbrauch getrieben wird, weil es eben Leute gibt, die die Haare dann als Glücksbringer verwenden.

FB: Und wie ist die Situation in Deutschland? Also wie wirkt sich hier die Differenzierung von Menschen mit Albinismus im Alltag aus Theresa?

TS: Also wie Christopher ja schon gesagt hat es ist natürlich in Deutschland so, dass die Hautfarbe und meistens auch die Haarfarbe kaum auffällig ist. Also optisch ist natürlich dieser Unterschied nicht so stark vorhanden wie in Nigeria und als ich noch ein Kind war, ist das schon mal vorgekommen, dass die Leute mal einen länger angestarrt haben oder auch mal nachgefragt haben. Allerdings mittlerweile, wo es auch relativ normal ist, dass man sogar bunte Haare hat oder silberne Haare hat, ja, ist diese diese optische Unterscheidung eigentlich nicht mehr so stark vorhanden und von daher geht es in Deutschland tatsächlich eher um diese Differenzierung behindert oder nicht behindert. Und die ist natürlich ganz unterschiedlich relevant, je nachdem wie groß die Barrieren sind, die man eben gerade im Alltag hat. Ja, ich würde sagen, weil auch Menschen ohne Albinismus sich eigentlich immer stärker voneinander unterscheiden, werden die Menschen, die Unterschiede zu Menschen mit Albinismus eigentlich immer unsichtbarer. Natürlich ist Albinismus hier auch nicht so stark mit mit einer Wertung aufgeladen, wie das jetzt in Nigeria der Fall ist.

CH: Ich erinnere noch einer bei einem Besuch in den USA, wo wir auf der Konferenz der dortigen Vertretung für Menschen mit Albinismus waren, dass da in der Kaffeepause Anekdoten erzählt wurden, wie man als Mensch mit Albinismus in den USA zumindest für die meisten dann ab einem gewissen Alter als Mensch mit Albinismus auch fast unsichtbar wird, eben weil plötzlich Brillen, Seheinschränkung und graue Haare oder sehr helle Haare ab einem gewissen Alter eben sehr häufig werden. Und das ist wiederum auch ein Kontext, der natürlich in Nigeria so nicht so sehr existiert, weil Leute kriegen zwar auch graue Haare, aber die Hautfarbe ändert sich mit dem Alter dann nicht so gravierend. Das, dass man dann. Nicht mehr gesehen würde.

FB: Und als Linguistin betrachtest du ja auch die Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung Behinderung. Kannst du da auch ein Beispiel geben zu geben?

TS: Ja, also ich beschäftige mich in meinem Projekt damit, wie Behinderung oder Nichtbehinderung eben sprachlich oder diskursiv verhandelt wird. Das heißt, ich gucke mir zum einen an, wie über Menschen mit Behinderung gesprochen wird. Aber ich schaue mir auch an, die Betroffene selbst sprechen, also wie sie sich zum Beispiel auch selbst kategorisieren. Und ja, da schaue ich mir zum einen Bedeutungswandel an, also ich habe jetzt in meinem Projekt richtig den Fokus auf das 20. Jahrhundert und schaue mir da eben an, wie haben sich bestimmte Wörter, die mit Behinderung in Verbindung stehen, wie hat sich deren Bedeutung verändert? Ist es zum Beispiel oft so, dass bestimmte Personenbezeichnungen eine Abwertung erfahren im Laufe der Zeit? Ein Beispiel wäre da geisteskrank oder Idiot. Das sind Begriffe, die wir heute eigentlich nur noch sehr negativ verwenden. Als Schimpfwörter verwenden. Und Anfang des 20. Jahrhundert waren das eben tatsächlich noch wertneutrale Bezeichnungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen, für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder mit Lernschwierigkeiten. Ich schaue mir auch an, welche Wörter zum Beispiel verschwinden und welche neu dazukommen, welche Wörter andere Wörter ablösen. Das nennen wir lexikalischen Wandel. Also wie verändert sich die Sprache innerhalb eines bestimmten Konzepts? In dem Fall eben Behinderung. Da ist es zum Beispiel so, dass Begriffe wie Irrenhaus oder Irrenanstalt heute nicht mehr verwendet werden können. Also wir würden die heute nur noch metaphorisch verwenden. So in der Art bin ich dann im Irrenhaus oder ich kam mir vor wie im Irrenhaus. Aber Anfang des 20. Jahrhunderts waren das noch vollkommen wertneutrale Bezeichnungen für eben psychiatrische Kliniken. Ja, und was ich da mache. Ich schaue mir zum Beispiel große Textsammlungen an, die nennen wir in der Sprachwissenschaft Korpora. Also die sind auch speziell für sprachwissenschaftliche Untersuchungen aufbereitet, können maschinell durchsucht werden, zum Beispiel eben nach bestimmten grammatischen Formen. Und da mache ich eben bestimmte Abfragen, schaue, wie sich Frequenzen von Wörtern verändern, welche Wörter verschwinden, wann welche Wörter hinzukommen. Und ich schaue mir zum Beispiel auch Dokumente an aus der Behindertenbewegung in den späten Siebzigern und in den 80er Jahren und schaue mir an, wie wird denn Behinderung da in der Community der Betroffenen sprachlich verhandelt. Wie bezeichnen Menschen mit Behinderung sich selbst? Und ja, wie möchten sie bezeichnet werden? Wie möchten sie nicht bezeichnet werden? Welche Kategorisierungen lehnen sie ab?

FB: Okay, und welche sprachlichen Unterscheidungen gibt es da zwischen Menschen mit, und ohne Albinismus? Hast du dir das auch angeguckt?

TS: Das ist tatsächlich nicht so mein Schwerpunkt. Und da gibt es auch tatsächlich sprachwissenschaftlich gar nicht so viel zu untersuchen. Ich glaube, das Spannende in Bezug auf Sprache ist vor allem Wann wird denn Albinismus überhaupt als sprachliche Kategorie verhandelt? Also wann ist er denn so salient, dass er als Kategorie existiert?

FB: Was heißt salient?

TS: Ja, wann ist diese Unterscheidung, Wann wird überhaupt eine Differenzierung gemacht, so dass man sie als sprachliche Kategorie dann auch etablieren könnte? Und ja, was wir natürlich, was, was, was natürlich viele kennen werden, ist der Begriff Albino, der in der Community der Betroffenen wird der sehr uneinheitlich gehändelt. Also einige Betroffene bezeichnen sich selbst als Albino und andere lehnen diesen Begriff aber auch ab und empfinden den eher als problematisch und diskriminierend. Ja, zum einen, weil er natürlich auch sehr stark ans Tierreich erinnert. Also wir verbinden Albino vor allem eben auch mit dem Tierreich. Dadurch hat das natürlich auch etwas Vertierlichendes, das etwas Veranderndes, etwas Dehumanisierendes. Ja, und zum anderen gibt es in der, im Diskurs um Sprache und Behinderung schon lange den Disput. Benutzen wir eher Person First Sprache oder Identity First Sprache, also zum Beispiel Person First wäre Menschen mit Behinderung. Identity First wäre Behinderte und einige Personen sagen, es ist wichtiger, die Person in den Fokus zu stellen, denn die die Person sollte im Zentrum stehen und es sollte und sie sollte nicht auf ihre Behinderung reduziert werden. Andere sagen aber auch durch diese Person First Sprache wirkt die Behinderung wie so ein negatives, lästiges Anhängsel. Und die Behinderung gehört eigentlich zur Identität dazu. Also ja, möchten diese Personen lieber als Behinderte oder Behinderte Person bezeichnet werden und nicht als Person mit Behinderung? Und ja, dieser Diskurs lässt sich auch so ein bisschen auf Albinismus übertragen. Also mittlerweile hat sich auch in den Selbsthilfegruppen zum Beispiel auch die Bezeichnung Menschen mit Albinismus durchgesetzt.

FB: Das heißt, wer auf der sicheren Seite sein will, lieber Menschen mit Albinismus sagen?

TS: Also natürlich ist es immer ein bisschen schwierig. Ist es, ist es ja noch mal, weil wenn es so um politisch korrekte Sprache geht, sind sich natürlich viele sehr unsicher. Und das ist ja auch verständlich, weil, wie ich ja gerade erklärt habe, auch in der Community der Betroffenen sind da die Präferenzen eben nicht einheitlich. Also ich finde im Zweifelsfall einfach würde ich eben einfach raten, da präventiv ein bisschen auf die eigene Sprache zu achten, lieber ein bisschen vorsichtiger zu sein, auch einfach im Zweifelsfall nachzufragen. Das ist eigentlich immer das Beste und natürlich ein respektvollen den Umgang miteinander zu pflegen. Und ja, ich würde davon abraten, über oder mit Menschen mit Albinismus den Begriff Albino zu verwenden. Wenn das für diese Personen dann natürlich in Ordnung ist, dann ja ist das okay. In diesem ganzen Diskurs um Albinismus ist es mir eigentlich immer sehr wichtig, also zum einen, dass man auch ein bisschen stärker diese Seheinschränkungen in den Fokus nimmt, weil das glaube ich oft das ist, was die wenigsten über Albinismus wissen. Also die meisten verbinden damit eben diesen bestimmten Phänotyp. Und leider wird da auch in den Medien sehr viel Stereotypisierung betrieben und zum Beispiel werden in Filmen wie zum Beispiel der Da Vinci Code Menschen mit Albinismus oft als Bösewichte dargestellt, als Bösewichte geframt. Und da ist es natürlich so, dass eben diese optische Devianz, die man da zu sehen glaubt, auch mit einer moralischen Devianz dann verknüpft wird. Und das sind natürlich sehr schlechte Repräsentationen für Menschen mit Albinismus. Und dem sollte man meiner Meinung nach entgegenwirken.

FB: Am 13. Juni ist ja auch der International Albinism Awareness Day. Ist der für dich auch wichtig, Theresa?

TS: Tatsächlich ist der Tag für mich jetzt nicht sonderlich wichtig. Also ich hab ihn auch gar nicht von Anfang an mitbekommen. Ich glaube, es hat ein bisschen gedauert, bis ich überhaupt mal davon gehört hab und ja, er spielt in meinem persönlichen Leben keine große Rolle, weil er hier in Deutschland auch nicht wirklich irgendwie gefeiert wird, oder es gibt hier auch keine Events. Und ja, es gibt hier auch keine aktivistischen Gruppen, die diesen Tag irgendwie auf eine besondere Art und Weise wahrnehmen.

FB: Wie ist es in Nigeria?

CH: In Nigeria spielt es schon eine wichtige Rolle. Es gibt ihn ja auch noch gar nicht so lange. Also der Tag wurde 2014 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen und seit 2015 dann begangen. Erinnert an die erste Resolution, die zum Schutz der Menschenrechte von Menschen mit Albinismus auf Ebene der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Und das war am 13. Juni 2013. Und Hintergrund dieser Resolution war eben die damals schwere Menschenrechtslage, wo wir hatten die Verfolgung von Menschen mit Albinismus in Teilen Afrikas angesprochen, die damals sehr stark thematisiert wurde. Und in Nigeria nutzen verschiedene Lobbygruppen und auch Behörden den Tag, um Aufmerksamkeit für die verschiedenen gesellschaftlichen Herausforderungen von Menschen mit Albinismus zu richten und damit hat er eben eine hohe Relevanz. Als ich dann letztes Jahr in Lagos war, habe ich drei solcher Veranstaltungen zum Internationalen Tag des Albinismus besucht. Und die dienten einerseits der Aufklärung über Albinismus, andererseits der politischen Vernetzung. Und für Betroffene ist das auch einfach eine Gelegenheit, zusammenzukommen, sich auszutauschen. Sich gegenseitig Tipps zu geben und sich einfach als Gemeinschaft auch zu erleben. Und aus einer analytischen Perspektive der Humandifferenzierung kann man dann feststellen, dass hier eine Institutionalisierung der Kategorie Albinismus betrieben wird, gleichzeitig auch eine Internationalisierung und ein Stück weit auch eine Medikalisierung insofern, dass eben gerade im afrikanischen Kontext biologische, naturwissenschaftliche Definitionen genommen werden, um eben für aber insofern eine biowissenschaftliche Definition dann lokale, eher übernatürliche Definitionen verdrängt, also in der Behindertenrechtsbewegung und in den Disability Studies wird, wie Theresa ja gesagt hat, teils kritisch auf medizinische Definitionen von Behinderung geschaut. Eben weil man sagt, dass sie die Betroffenen auf diese Behinderung reduzieren und auch entmenschlichen. Im Kontext Afrika muss man sagen Betroffene und ihre Lobbygruppen nutzen diese biowissenschaftlichen Definitionen eben um für das Menschsein oder das eigene Menschsein zu postulieren, weil sie eben damit Definitionen gegenübertreten, die Menschen mit Albinismus ihr Menschsein ein Stück weit absprechen.

FB: Ja, die letzte Frage, die ich immer noch stelle, ist Was würdet ihr machen, wenn ihr nicht in die Wissenschaft gegangen wird?

TS: Also wenn ich das gefragt werde, sage ich eigentlich immer als Scherzantwort Ich wäre Party Planerin geworden oder DJ, weil das so Sachen sind, die ich total gerne mache. Also Partys organisieren und mich um die Musik kümmern. Aber das Wahrscheinlichste wäre bei mir tatsächlich gewesen, dass ich in die Öffentlichkeitsarbeit gegangen wäre. Das dachte ich eigentlich auch während dem Studium sehr lange und dahingehend habe ich auch Praktika gemacht. Und dann hat mich aber die Wissenschaft in ihre Faszination gezogen und es kam anders.

CH: Ich muss sagen, dass ich die Frage sehr schwer finde. Also ich glaube, hätte ich nicht studiert, wäre ich vielleicht Gärtner geworden. Oder ich hätte einen Hostel eröffnet oder irgendwie so was.

FB: Und ich habe neulich noch festgestellt, bei Spotify kann man den Hörer in eine Frage zurückstellen. Habt ihr da irgendwas, was ich da reinschreiben soll?

TS: Vielleicht. Also ich fände das natürlich jetzt interessant, ob die Hörerinnen und Hörer etwas Neues über Albinismus gelernt haben oder vielleicht so ein bisschen so ein Aha Erlebnis hatten in Bezug auf Albinismus.

FB: Okay, danke schön.

FB:

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